: Rettet den Stehplatz!
Fußballfans demonstrierten vor der DFB-Zentrale gegen das kategorische „Hinsetzen“-Gebot der internationalen Verbände ■ Aus Frankfurt Christoph Biermann
Als das Volk kam, schauten die Mächtigen zunächst etwas zweifelnd. Dreihundert richtige Fußballfans, in Schals und Trikots, mit Fahnen und Trompeten vor den Toren des Deutschen Fußballbundes, oh weh! Die erste Demonstration am Sitz des größten Fußballverbandes der Welt und zum ersten Mal Aug' in Aug' mit denen, die das Spiel bezahlen – wie würde das ausgehen? Doch unten auf dem engen Vorplatz rannten sich die Kamerateams vor Begeisterung fast gegenseitig über den Haufen. Prima Bilder, leichtverständlich arrangiert.
Buntgemischt und gutgelaunt standen „um fünf vor zwölf“ die Fans von 25 Klubs aus der ganzen Bundesrepublik nebeneinander, selbst Dortmunder und Schalker lagen sich demonstrativ in den Armen. (Botschaft 1: „Wir sind friedlich!“) Ein Teil nahm Platz auf den mitgebrachten Sitzbänken, ein anderer blieb stehen, und vor dieser improvisierten Tribüne gab es ein kleines Fußballspiel. Auf den Sitzplätzen war natürlich alles ruhig und langweilig, während die Stehenden mächtig Stimmung machten. (Hauptbotschaft: „Sitzen ist für'n Arsch!“) Die Hamburger – HSVler und St. Paulianer vereint wie selten – hatten auf dem Weg nach Frankfurt fleißig gedichtet und trugen nun ihre Version des 70er-Jahre-Beatmessen-Klassikers „Danke!“ vor. „Danke, daß unser Kreuz dich sorgt. Danke, daß du unsere Sohlen schonst. Danke, daß wir bald sitzen dürfen. Danke, DFB!“ (Botschaft 3: „Wir haben Humor!“) Da mußte auch DFB-Ligasekretär Wolfgang Holzhäuser zugeben, daß das „schon ganz witzig“ war.
Die Demonstration vor dem DFB war aber nicht nur das, sondern zeigte auch, daß in den letzten Jahren ein Fußball-Underground entstanden ist, dessen Bemühen um den Fußball sich gehörig professionalisiert hat. Eine PR-Agentur hätte die Forderungen nicht besser inszenieren können. Fast alle, die nach Frankfurt gereist waren, werkeln seit geraumer Zeit in irgendwelchen Fan-Initiativen, Fan-Projekten, Fan-Bündnissen und Fan-Läden mit oder geben Fanzines heraus. Bei diesen Aktivitäten steht zunehmend der Kampf gegen die Enteignung des Spiels von oben im Mittelpunkt. Und der Erhalt der billigen Stehplätze und damit der Traditionen der Stadionkultur ist das Thema, das diesen Prozeß für alle Fußballfans nachvollziehbar macht.
Als DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt nach einem Gespräch mit fünf Fan-Vertretern allerdings sagte, daß „wir die Zuschauer im Laufe der Zeit an die Sitzplätze gewöhnen müssen“, zeigte sich auch, daß der von den Fans erhoffte Schulterschluß mit dem DFB so ganz leicht wohl nicht zustande kommt. Einerseits wird der Verband nicht müde zu beteuern, einen isolierten Kampf in den internationalen Dachorganisationen UEFA und FIFA zu führen, um deren radikale Beschlüsse zur langfristig völligen Abschaffung von Stehplätzen zu korrigieren. Auf der anderen Seite kann und will er sich aber nicht zu weit aus dem Fenster hängen. Schließlich, daran erinnerten auch die bereits in der Zentrale ausliegenden Prospekte, bewirbt sich der DFB um die Ausrichtung der WM 2006. Und da will man es sich durch zu große Bockigkeit in der Stehplatzfrage nicht mit den anderen Verbänden verderben.
Auch wenn der DFB seinen eigenen Vereinen eine Verteilung der Steh- und Sitzplätze nach eigenem Willen erlaubt, so ist dieser doch schnell eingeschränkt, wenn es auf internationales Terrain geht. Dabei ist ein Mechanismus in Gang gebracht, der nur noch schwer ausgehebelt werden kann. Die Kommunen, die prestigeträchtige Länderspiele in ihren Städten haben wollen, wie etwa Düsseldorf, rüsten die Stadien deshalb für viel Geld um. Und Klubs, die in Zukunft ihre Europapokalspiele nicht vor Geisterkulissen austragen wollen, müssen ebenfalls umbauen.
Bei der Suche nach Kompromissen und neuen Ansätzen für modifizierte Lösungen gerät aber die Grundfrage aus dem Blick: Warum das alles? Verblüffend ist dabei, daß das Sicherheitsargument immer noch eine Rolle spielt. Das stand zwar nach den Gewalteskalationen der achtziger Jahre immer wieder im Mittelpunkt, müßte inzwischen aber eigentlich ausgedient haben. Denn längst wissen alle Sicherheitsfachleute, daß Sitzplatzstadien nicht per se sicherer sind und Gewaltprävention nur im eingeschränkten Maße mit baulichen Maßnahmen zu tun hat. Damit gibt es auf die Frage, warum denn der sitzen soll, der doch stehen will, nur eine Antwort: Es geht ums Geld. UEFA und FIFA wollen über mehr Komfort und höhere Preise die Einnahmen verbessern. Begriffe wie Fan-Kultur sind nach dieser Denkweise nur alberne Nostalgie. Das macht auch die höhnische Wortmeldung von UEFA-Generalsekretär Gerhard Aigner deutlich, die am Tag der Demonstration verbreitet wurde: „Kein Mensch kommt auf die Idee, für Kino oder Theater den Erhalt von Stehplätzen zu fordern.“ Zudem suggeriert der aus Regensburg stammende Aigner, daß die Deutschen wohl wieder mal einen Sonderweg versuchen würden.
Das stimmt nicht, wie auch die Reaktion der englischen „Football Supporters Association“ zeigt. Sie wies in einem Gruß an ihre deutschen Kollegen darauf hin, daß die Abschaffung der Stehplätze in England genau die Folgen hatte (exorbitante Preise, Ausschluß größerer Publikumsgruppen), die auch in Deutschland befürchtet werden. Wahrscheinlich wird es also nötig sein, daß der Enthusiasmus der Frankfurter Demo die Fans noch ein Stück weiterträgt – über die Landesgrenzen hinaus. Zwangsläufig müssen die Proteste internationalisiert und Koalitionäre im Ausland gesucht werden. Kontakte bestehen genug und Entschlossenheit offensichtlich auch. Sven Brux vom St.-Pauli-Fan-Laden meinte lakonisch: „Dann müssen wir demnächst eben zusammen zur UEFA nach Bern fahren!“
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