piwik no script img

Ein drittes Geständnis

■ Ältester Angeklagter räumte Tatbeteiligung beim Anschlag auf Lübecker Synagoge ein und beschuldigt Mitangeklagte

Schleswig (AP) – Ein dritter Angeklagter im Prozeß um den Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge hat gestern überraschend seine Tatbeteiligung gestanden. Gleichzeitig beschuldigte der 25jährige Stephan Marcus W. vor dem Oberlandesgericht in Schleswig auch seine drei Mitangeklagten. Die beiden 20jährigen Nico T. und Sven Boris H.-M. hatten ihre Tatbeteiligung von Anfang an zugegeben. Der 22jährige Dirk B. bestritt jedoch auch am vierten Verhandlungstag, bei dem Anschlag im März dieses Jahres dabeigewesen zu sein.

Die Bundesanwaltschaft wirft den vier Männern aus Lübeck fünffachen versuchten Mord und schwere Brandstiftung vor. Den Anschlag auf das Gebäude, in dessen oberen Stockwerken fünf Menschen wohnten, sollen die Angeklagten aus Haß gegen Juden und Ausländer begangen haben. Ebenso wie Nico T. und Boris Sven H.-M. will Stephan Marcus W. jedoch keinen Molotowcocktail auf die Synagoge geworfen haben. Er beschuldigte nach einigem Zögern Nico T., den Brandsatz auf das Gebäude geschleudert zu haben. Der Beschuldigte, der bis dahin zu möglichen Mittätern geschwiegen hatte, erklärte daraufhin sehr erregt: „Marcus W. ist zur Tür gegangen und hat den Molli geschmissen.“

Die Tat sei nicht geplant gewesen, erklärte Stephan Marcus W. vor dem Zweiten Strafsenat. „Wir sind spontan losgegangen.“ Auch er habe wie die beiden jüngsten Angeklagten das Gebäude gekannt und gewußt, daß es etwas mit Juden zu tun habe. „Ich dachte, das wäre ein Kindergarten oder gehört zum Museum. Eine Menschenseele habe ich dort nicht gesehen“, erzählte er. In der Brandnacht habe er nicht darauf geachtet, ob Licht in den oberen Stockwerken gebrannt habe.

Der vierte Angeklagte, Dirk B., will am Abend vor dem Anschlag gegen 22.30 Uhr von seiner Arbeit als Detektiv in einem Hamburger Warenhaus in sein Lübecker Elternhaus zurückgekehrt und anschließend nicht mehr aus dem Haus gegangen sein. Seine Eltern hätten schon geschlafen, nur kurz sei sein Vater noch einmal aufgestanden. „Ich glaube, da habe ich mich mit ihm unterhalten.“ Anders als die anderen drei mutmaßlichen Brandstifter kannte er die Synagoge. Als Schüler habe er sie besichtigt. Nicht erklären könne er sich, warum die drei anderen Angeklagten ihn beschuldigen. „Ich kann mir höchstens vorstellen, daß sie einen anderen Täter decken wollen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen