Unbeschwert

■ Kampnagel: Gastspiel von „Faust:: Mein Brustkorb: Mein Helm“

Der Zuschauer lacht. Manchmal. Manchmal wundert er sich auch. Und gelegentlich langweilt er sich sogar. Eins gelingt dem Zuschauer selten: den Text zu verfolgen. Aber, aber, meldet sich sofort die innere Stimme des Zuschauers, zwar wird dir der Sinn des Ganzen nicht ganz klar, aber bekommst du nicht dafür eine ganze Fülle funkelnder Einzelheiten geboten?

Also spaltet sich der Zuschauer. Der Werner-Schwab-Fachmann in ihm vermißt bei dem Kampnagel-Gastspiel der im Potsdamer Hans Otto Theater herausgekommenen Produktion Faust:: Mein Brustkorb: Mein Helm den Autor, also Schwab. Das Theater-Spielkind in ihm aber freut sich diebisch über das Spektakel, das ihm geboten wird. Und seltsam, das Spielkind weiß, je länger die Aufführung geht, den Schwab-Fachmann zu beruhigen. Denn wahrscheinlich hätte Werner Schwab, der sich bekanntlich in der Rolle eines auratischen Autors nicht wohl fühlte, selbst seinen Spaß gehabt. Also lehnt sich der Schwab-Fachmann zurück und fällt in eine freischwebende Aufmerksamkeit.

Ein merkwürdiger Mensch muß dieser Thomas Thieme sein. In seinem Hauptberuf ist er Schauspieler, ein sehr guter sogar, festangestellt am Wiener Burgtheater, regelmäßiger Gast an der Berliner Schaubühne. In seinem Nebenberuf ist er Regisseur. Als Schauspieler ist er hochdifferenziert. Als Regisseur aber, da ist er ein großer Haudrauf, ein fröhlicher Spieler, der, von Sinnfragen nicht beschwert, tief in die Kiste des experimentellen Theaters greift.

Wahrscheinlich ist das das Beste, was Schwabs Faust-Adaption passieren konnte. Denn es gibt bessere Stücke des Autors; und, unter uns, die Sprache in diesem späten Stück ist ausrechenbar: Da intendierte die Autorenschaft eine ganz gewaltige Routine, um die Sprachlichkeit des Schwabisch zu installieren.

So gibt es wenig zu verstehen (oder vielleicht auch ganz viel, nur daß man das Stück dann etwa achtmal sehen müßte) und dafür viel zu hören und zu sehen. Gleich fünf Margareten singen erst nette Volksweisen und sprechen später im Chor. Kurt Naumann als Faust steht die meiste Zeit über da und monologisiert wild grimassierend. Die Einstürzenden Neubauten spielen auf Schultischen, die sich wie Xylophone anhören. F.M. Einheit wieselt wie Caliban über die Bühne, der aus Shakespeares Sturm herübergeweht zu sein scheint. Und dann sind da noch die beiden Stars der Aufführung: Jennifer Minetti als Marthe Schwerdtlein und Günter Rüger als Erzähler, der die Regieanweisungen, die Thieme nicht ausführen läßt, spricht. In ihnen – wie auch stellenweise in Hans-Peter Minetti – triumphiert doch noch das Theater über das reine Spiel.

Dirk Knipphals