Zuschauer als Anspielpartner

■ Literaturhaus: Klaus Wyborny, einer der letzten originären Filmemacher, fragte: „Was erwarten wir eigentlich von Bildern?“

Es ist schwer geworden, die großen einfachen Fragen zu stellen. Vielleicht weil die meisten von uns in den Bilder-, Wort- und Tonfluten der Gegenwart schon lange die Orientierung verloren haben.

Um so bewundernswerter, wenn sich ein mutiger Pionier findet, der im reißenden Strom inflationärer Reizsignale die Anstrengung unternimmt, ein paar essentielle Richtungsweiser aufzustellen. In einer Zeit, in der selbst die Philosophen sich nur noch partikulare Äußerungen zu sauber abgesteckten Spezialbereichen zutrauen, holt der Filmemacher/Maler/Physiker Klaus Wyborny zu einem fast universellen Erklärungsversuch aus: „Was erwarten wir eigentlich von Bildern?“ fragte er sich und seine Zuhörer im Literaturhaus Schwanenwik in einer Mischung aus Vortrag und Videoperformance, bei der auch Teile seines Videos Aus Scriabins Grab vorgeführt wurden.

Unterstützt von Diaprojektion, Videomonitoren und einem Videobeam ging es um „die Darstellung des Potentials der Aufzeichnungsformen bewegter Bilder“, um eine kritische Überprüfung der neuen Medien anhand von Kants Kritik der Urteilskraft und schließlich um einen Ausblick auf „die bewegte Bildkunst der Zukunft“. Ein Anspruch, dessen Generalität selbst Wyborny zu erschrecken schien, der in der Ankündigung für sich auch „eine Anmaßung“ entdeckte.

Aber mit Kants Kritik der Urteilskraft als Richtschnur und Anreger des Diskurses konnten klare Begriffsbestimmungen gegeben werden. Danach steht jede Produktion und Rezeption bewegter Bilder im Spannungsfeld zwischen „Gefallen und Verlangen“ (so auch der Untertitel des Vortrags). Der Konsument möchte Gefallen an den Bildern finden, dem Produzenten (dem Macher) ist das Verlangen eigen, sich mittels dieser Bilder in seiner „eigenen Einzigartigkeit“ zu entfalten.

Bedingung der Kunstproduktion ist das Bedürfnis, sich einem anderen Menschen mitzuteilen, und das Bedürfnis (des Konsumenten), dieser Mitteilung Aufmerksamkeit zu schenken. Der Künstler existiert nicht aus sich heraus; er braucht in jedem Fall den Zuschauer/Zuhörer als Anspielpartner.

Mit diesem Zuschauer/Zuhörer spielt auch Wyborny, der freimütig bekennt, daß er Applaus sucht und sich durch ihn oft zu Tränen rühren läßt. Der Wyborny-Film Die Geburt einer Nation bot ein ironisches Grundmodell für die Interaktion zwischen Künstler und Zuschauer: Junge Leute gründen nach Art frühchristlicher Eremiten eine Siedlung namens Carthago, und nach getaner Arbeit kommt es zum kulturellen Akt einer Tanzvorführung, mit klarer Trennung zwischen Akteur/Produzent und Publikum/Konsumenten.

Eine veränderte Form dieses Mitteilungswillens entdeckt Wyborny im Bemalen von Kirchen, Sarkophagen und Vasen. Wobei der Hohlraum der Kirche ihm zum Urbild von Film und Kino wird, während er die Wurzeln des Videos in den äußerlichen Bemalungen von Skulpturen und rumänischen Kirchen des Moldaudistrikts aus dem 16. Jahrhundert entdeckt.

Von dort führt der Weg zu den Äußerlichkeiten der Werbung und dem Vernichtungsfeldzug der Wirtschaft gegen die „zweckfreie“ Schönheit.

Sebastian Winckler

Klaus Wybornys Film „Aus dem Zeitalter des Übermuts“ wird von Sonntag, dem 4. 12., bis Mittwoch, dem 7. 12., um 22.30 Uhr im Alabama, Kampnagelfabrik, gezeigt. Am Freitag, dem 9. 12., 21 Uhr wiederholt das Lichtmeß-Kino den Film.

Dazu gibt es eine Mini-Retrospektive des Filmemachers: Das Metropolis heute um 19 Uhr den Film „Die Geburt der Nation“, und der Kunstverein am Klosterwall am Donnerstag, dem 15. 12., „Am Arsch der Welt“.