Spezialität: Generalstorte

■ Die Zuckerbäcker-Dynastie von Warschaus ältester Konditorei

Nur für Anlieger, Taxis und Busse zugelassen, bietet die „Nowik“, wie die Warschauer ihre Straße nennen, sich an zum Flanieren und zum lèche-vitrines: Elegante Boutiquen, neue Cafés, auch Christian Dior haben sich dort niedergelassen. Und mitten im Gewühl stößt man auf die älteste Konditorei Warschaus. Seit mehr als 120 Jahren erfreut Blikle seine Kunden mit Paczki (Krapfen – sprich: pontschki), Strucla Makowa (Mohnkuchen), Sernik Ciastka (Käsekuchen) und anderen Leckereien. Die „Cukiernia Blikle“ in der Nowy Swiat 35 ist eine Adresse, die jeder in Warschau kennt.

Ich treffe Andrzej Blikle (Blikle IV), den jetzigen Mitinhaber der Konditorei. Er erzählt, daß er eigentlich Mathematiker werden wollte. „Es ist mir nicht gelungen. Heute bin ich Computer-Wissenschaftler an der polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau.“ Es gehört zur Tradition der Familie, einen anderen Beruf erlernt zu haben. Ja, er ist Akademiker, Konditoreibesitzer und Konditormeister.

Während des Warschauer Aufstands 1944 wurde die Konditorei vollständig zerstört. Die Familie verließ die Stadt. Der Vater Jerzy (Blikle III) kam ein paar Monate später zurück und machte zunächst in der Aleje Jerozolimskie eine Imbißbude auf. Mit Fahrrad und Rucksack ging er täglich auf die Suche nach den einfachsten Lebensmitteln. 1946 wurde die Konditorei dann wiedereröffnet, das Café allerdings nicht. (Blikle I, 1844–1912) machte seine Konditorlehre in Lomza bei dem Meister Semadini. Anschließend zog er nach Warschau und kaufte im Alter von 25 Jahren die Konditorei in der Nowy Swiat. Seinem Sohn hinterließ Wieslwa-Antoni (Blikle II, 1873–1934) eine blühende Firma.

Wieslaw wurde nicht als Konditormeister geboren. Sein Leben war vor allem von seinen Neigungen für die Kunst erfüllt. Ein vielseitiger Künstler und ein Lebenskünstler: Maler, Komponist, Bildhauer, Architekt und Münzensammler. Er gab dem Geschäft neue Impulse. Aus der Konditorei wurde ein Café, Treffpunkt für Schauspieler, Maler, Musiker, Dichter und Architekten. Der Maler Falat, der Dichter Tetmajer, der Schauspieler Jaracz waren hier zu treffen. Auch Ignacy Paderewski hat als junger Musiker am Klavier des Café Blikle gesessen. Das Café in der Nowik wurde zum Anziehungspunkt für die ganze Bohème.

Sein Sohn Jerzy (Blikle III, 1906–1981) übernahm 1928 die Firma. Eigentlich hatte auch er keine rechte Lust dazu. Er hatte gerade die Handelsschule absolviert, aber dann leitete er 53 Jahre lang, teilweise gemeinsam mit seiner Schwester Zofia, die Firma. Sein prominentester Gast war Charles de Gaulle, der 1920 als junger Offizier und Mitglied der französischen Militärmission häufig im „Blikle“ zu treffen war. Sich auf französisch mit Frau Blikle zu unterhalten, die mit Mädchennamen Bouquet hieß und deren Vorfahren Hugenotten waren, und dabei einen Paczek zu essen, das schätzte der spätere General. „Und stellen Sie sich vor, als Charles de Gaulle 1967 zum Staatsbesuch nach Warschau kam, wurden meine Eltern zum Empfang im Barockschloß Wilanow eingeladen.“ Zu diesem Anlaß schuf Jerzy Blikle eine neue Spezialität des Hauses, die „Torty Generalskie“.

Während des Kriegs sind die Großzügigkeit und die Hilfsbereitschaft der Familie Blikle neuerlich gefordert. Das Café wird zur Bühne für Schauspieler, Sänger und Musiker, die sonst nirgends auftreten können, und auch kostenloser Brotlieferant für das Personal des benachbarten Nationalmuseums. Blikle – das hieß immer auch kulturelles und politisches Engagement.

Heute beschäftigt die Firma sechzig Mitarbeiter: fünfundvierzig Bäckermeister, fünf Verwaltungskräfte und zehn Verkäuferinnen. Drei weitere Städte – Czestochowa, Lodz und Radom – werden regelmäßig mit frischem Gebäck beliefert. Zehntausend bis zwanzigtausend Paczki kommen täglich aus dem Ofen.

Die Konditorei wurde vor ein paar Monaten renoviert, die Fotos mit den Autogrammen berühmter Zeitgenossen sind geblieben: Arthur Rubinstein als Jurymitglied des Chopin-Wettbewerbs 1960, einen Ponczek in der Hand – Marcel Marceau widmete sein Bild „pour le roi des pÛtissiers, de la part du prince des mimes“ (für den König der Konditoren vom Prinzen der Mimen) – Lucienne Boyer schrieb 1957 mit ihrem Lippenstift „pour la maison Blikle, avec mon meilleur souvenir“. Danièle Nobbe