■ Die PDS-Inszenierung – Jetzt auch im Theater!: Vom Hungern allein kann man nicht leben
In Kafkas Erzählung „Der Hungerkünstler“ setzt sich ein Mann in einen Käfig und hungert öffentlich – zur Belustigung und Unterhaltung eines Publikums. Das Wesentliche dieses Aktes ist dabei gar nicht das Hungern selbst. Vom Hungern allein kann man nämlich nicht leben, es braucht ein Publikum. Das ist beim hüftspeckorientierten Hungern so, das auf Verschönerung der Silhouette zielt. Auch in seiner romantisch-literarischen Version gilt der Verzicht auf leibliche Genüsse erst als Garant wahrer Kreativität, die an mit knurrendem Magen verfaßten Werken ablesbar wird. Und für politisch motiviertes Hungern ist der öffentliche Blick conditio sine qua non. Wer hungert, will etwas erreichen. Im letzten Fall mittels einer Inszenierung, die auf die Beschämung der Adressaten und Mitleid bei den Sympathisanten abzielt.
Das mit dem Publikum haben Gregor Gysi und Lothar Bisky mit ihrer Inszenierung eines PDS-Hungerdramas ja ganz gut hingekriegt. Aber Beschämung der Adressaten? Trotz unklarer Rechtslage dürfte sich der Jurist Gysi eigentlich keinerlei Illusionen hingeben, ein deutsches Finanzamt durch seine Hungerkünste erst beschämen und dann erweichen zu können. Auch die deutsche Parteienlandschaft, die man als „Drahtzieher“ des Versuchs ausgemacht hat, die PDS auf diese Weise endgültig „zum Verschwinden“ zu bringen, reagiert keineswegs beschämt. Denn im Gegensatz zu den politischen Hungerstreiks, beispielsweise der IRA 1981 in Long Kesh oder der RAF, deren Protagonisten als Mittel ihrer Forderungen ihr eigenes Verschwinden, nämlich ihren Tod einsetzten, hat das sichtlich risikolose Berliner Szenario eindeutig etwas Groteskes. Und im Vergleich zum Hungerstreik der Bischofferoder Kali-Kumpel im Sommer letzten Jahres, bei dem es um die Existenzsicherung mehrerer tausend Menschen ging, erscheint das Hungern für einen Steuererlaß als Mißbrauch und „obszöne“ Verzerrung eines letzten politischen Mittels, das es auch bleiben sollte.
Das Mitleid der Sympathisanten immerhin ist garantiert. In Solidaritätsadressen und auf Kundgebungen bestätigen sie die Aktion als eine Metaphorisierung der ostdeutschen Gesamtbefindlichkeit: Die finanzielle Klemme der PDS repräsentiert für viele stellvertretend die eigenen ökonomischen Schwierigkeiten, und die Aktion materialisiert ihre Gefühle einer existentiellen Bedrohtheit. Ihm sei nichts Besseres eingefallen, gestand Bisky. Na aber... Vielleicht sollte man einfach weitermachen. Mit Kaffee, Zigaretten und Alkohol läßt es sich schon aushalten. Und reichlich Zahnbürsten auf dem Tisch, gegen den schlechten Geschmack im Mund. Derweil wurde man aus dem Parlament vertrieben und fand Asyl in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Aber vielleicht gelingt ja Hausregisseur Christoph Schlingensief die Verwandlung des Kaffeekränzchens in eine deutsche Hungerorgie. Parole: PDS 2000.
Barbara Häusler
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