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Keineswegs geschlechtsneutral

Eine Ausstellung über Verschlüsse entlarvt den Knopf als Mittel im Geschlechterkampf  ■ Von Angela Baer

So manches Mal kam meine Mutter in mein Zimmer gestürzt, weil sie den blöden Reißverschluß an ihrem Kleid nicht zubrachte. Schnell hatte ich das Ding an ihrem Rücken geschlossen. Mein Vater hatte beim Anziehen keine technischen Probleme. Bei ihm saßen alle Reißverschlüsse und Knöpfe vorn, bequem und praktisch zu handhaben. Warum sitzen Reißverschlüsse und Knöpfe nur bei Frauenkleidung hinten? Warum verschließt sich der Mann vorne, und zwar mit dekorativen, auffälligen Knöpfen, wohingegen Frauenreißverschlüsse oft verschämt hinter Stoffblenden verschwinden?

Den Blick für solche Details schärft nun „Auf und Zu“, eine Sonderausstellung zur Geschichte der Verschlüsse, die vor kurzem im Württembergischen Museum für Volkskultur eröffnet wurde. Sie macht einmal mehr deutlich, daß sich an scheinbar unwichtigen Kleinigkeiten wie Knöpfen, Haken, Ösen, Schnüren, Nesteln, Gürteln und Reißverschlüssen Kulturgeschichte ablesen läßt.

Ein Jahr lang bastelten die Kulturwissenschaftlerinnen Gabriele Mentges und Eva-Maria Klein an ihrer Ausstellung und kamen zu erstaunlichen Ergebnissen: Kleidungsverschlüsse sind keineswegs nur geschlechtsneutral, sondern spiegeln das Verhältnis von Mann und Frau in den verschiedenen historischen Epochen wider. Verschlüsse handeln von Macht – „Die geschwellte Brust“ – und Erotik – „Der geschnürte Leib“. 500 Exponate, vorwiegend aus dem württembergischen Raum, illustrieren diesen neuen Blick auf den Knopf.

Die Kleidung ist eine Hülle, die ein Innen und ein Außen schafft, sagen Kleidungspsychologen, und die Verbindung zwischen beiden Bereichen wird durch Verschlüsse hergestellt. Sie geben Auskunft über Mentalitäten und Einstellungen: Was wird verschlossen, wo, wie und warum? Eingeschlossen wird in der Regel etwas, das aufbewahrt, vor fremdem Zugriff oder neugierigen Blicken geschützt werden soll. Wann ein Körper für wen zugänglich ist, hängt von der Freizügigkeit und der Moral der jeweiligen Gesellschaft ab.

Bis zum Mittelalter trugen Männer und Frauen gleichermaßen lockere Gewänder in der aus der Antike überlieferten Tunikaform, die Gürtel oder Fibel zusammenhielten. Doch nun wurden die Beine des Mannes durch körperbetonte Hosen modelliert, der Unterkörper der Frau in Röcke gehüllt. Diese neue Kleidung machte eine Vielfalt von Verschlüssen notwendig. Im 16. Jahrhundert bestand die Männerkleidung im wesentlichen aus Hemd, Wams und mit Nesteln daran befestigten Hosen. Die Landsknechte der Reformationszeit pflegten ihre Schamkapsel durch diverse Schluppen, Schlaufen und Schnüre zu modellieren. Gerade in dieser Offensichtlichkeit des Verschlusses liegt auch die besondere Erotik verborgen, in der sich die Schließungen zugleich als potentielle Öffnungen präsentieren und den Zugang zum Körper geradezu betonen.

Waren bis dahin Schnüre, Nesteln und Knöpfe für beide Geschlechter die gebräuchlichen Verschlußtechniken, traten im 17. Jahrhundert die Knöpfe ihren Siegeszug an – allerdings nur bei der Männerkleidung. Bei den Frauen hält sich die Schnürung in Form von Schnürmiedern bis Anfang des 19. Jahrhunderts und in Gestalt von Korsetts und Hüfthaltern bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Während die Männer sich nun bequem auf- und zuknöpfen konnten, blieben die Frauen weiterhin zugeschnürt. Diese Entwicklung hängt nach den Recherchen der Stuttgarter Wissenschaftlerinnen eng mit den Vorstellungen über „das Weibliche“ zusammen, die sich im 18. Jahrhundert herauszubilden begannen. Aus den biologischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern wurden kurzerhand psychische abgeleitet – und zwar in einer hierarchischen Ordnung. „Die Muskeln und Nerven eines männlichen Körpers sind immer fester und gespannter als jene eines weiblichen; die Erschütterungen in jenem müssen also auch heftiger seyn als in diesem, und daher lassen sich die heftigeren Leidenschaften beym männlichen Geschlechte leicht erklären. Beym weiblichen Geschlechte sind alle Theile des Körpers weicher und weniger gespannt, alle Empfindungen sind bey diesem also auch gewöhnlich sanfter und weniger heftig...“, konnte man in dem berühmten Journal des Luxus und der Moden 1789 lesen.

Zwischen Schlaffheit und Schnürung

Der weibliche Körper eignete sich also nicht nur aufgrund seiner „Schlaffheit“ für die Schnürung, sondern bedurfte geradezu der „Formung“ durch Mieder und Korsetts. Analog dazu und gemäß der bürgerlichen Geschlechterlogik mußte demnach auch der Geist der Frau durch den Mann gelenkt und geführt werden. Er legte fest, zu welchen Anlässen die Frau hochgeschlossen, „zugeknöpft“, in Erscheinung zu treten hatte und wann Dekolleté angesagt war. Die weibliche Brust wird auf der einen Seite moralisierend bedeckt, was auf ihre lebensgebende Funktion verweist, auf der anderen Seite durch geschickte Schnürung erotisch aufgeladen und dem männlichen Blick geradezu dargeboten.

Trotz ärztlicher Bedenken bleibt die Frau also geschnürt, im 18. Jahrhundert noch deutlich sichtbar durch dekorative Schnürmieder, vom 19. Jahrhundert an dann im Dessousbereich. Die Verschlüsse bleiben verdeckt, Knöpfe dienen in der Regel nur der Zierde und haben keinen praktischen Wert. Das „Auf und Zu“ vollzieht sich im Privaten, im Geheimen, und regt zu allerlei erotischen Phantasien an. Zudem bleiben die Verschlüsse an der Seite und im Rücken, wodurch die Frau weiterhin auf Hilfe angewiesen ist und die ihr zugeschriebene Rolle als passives Wesen ausfüllt.

Ganz anders vollzog sich die Geschichte der Verschlüsse bei der Männerkleidung. Entscheidend war hier der Einfluß des Militärs seit dem 17. Jahrhundert. Aus den schlechten Erfahrungen, die man mit den bunt zusammengewürfelten Söldnerheeren im Dreißigjährigen Krieg gemacht hatte, resultierte die Einrichtung des „stehenden Heers“, das einheitlich gekleidet sein sollte: Die Uniform wurde eingeführt. Deren Knöpfe gaben Auskunft über Dienstgrad und Zugehörigkeit zu einem bestimmten Regiment, und der Mann, der in ihr steckte, mußte bereit zu Disziplin und Unterordnung sein und sich doch gleichzeitig männlich-offensiv, stark und selbstbewußt geben.

Männerbrüste per Knopfdruck

Vergleicht man einen modernen Herrenanzug mit einer Uniform, stechen die Gemeinsamkeiten deutlich ins Auge: Die Knöpfe sind im mittleren Brustbereich angebracht und machen damit diesen Körperteil zur „geschwellten Brust“; je nach Mode wird ein- oder zweireihig geknöpft. Die Knöpfe am Ärmel dienten der Befestigung des Aufschlags und haben heute zwar keinen praktischen Wert mehr, sind aber dennoch ein Muß. Knopf und Männlichkeit, so die Bilanz der Ausstellungsmacherinnen, sind untrennbar miteinander verbunden. Schnüre, Haken und Ösen waren dem Mann eben zu umständlich, und die Frage des Öffnens mußte kein Geheimnis bleiben. Dabei war der Knopf am Mann nie nur funktional, sondern machte immer auch Aussagen über Geschmack, Wohlstand und Selbstverständnis. Im Rokoko schmückte er sich – sogar an Bein und Rücken – mit bunt bestickten Knöpfen, auf dem Land waren Silberknöpfe eine Wertanlage, und in den zwanziger Jahren machte es schon einen feinen Unterschied, ob er Metall oder Perlmutter trug.

Die Verschlußtechniken bei Männer- und Frauenkleidung glichen sich im 20. Jahrhundert allmählich an. Pate dieser Entwicklung war der 1893 von einem Amerikaner erfundene Reißverschluß, der sich aber erst in der Kunststoffvariante der fünfziger Jahre durchsetzte. Die Kleidung konnte nun schnell auf- und zugemacht werden. Für das umständliche Schnüren und Knöpfen war die Zeit einfach zu schnellebig geworden.

Wer nun aber glaubt, daß damit das Ende der geschlechtsspezifischen „Verschlußwelten“ gekommen sei, geht fehl. Denn wieder einmal arrangierten sich Verschlußtechnik und Vorstellungen über „das Weibliche“. In den Fünfzigern zum Beispiel waren Rundungen angesagt, die durch hautenge Kleider zur Geltung gebracht wurden. Der Reißverschluß wurde zugezogen und preßte den Stoff an den Körper, der damit männlichen Blicken und Phantasien freigegeben war. Und: Die Frauen-Verschlüsse sind weiterhin unsichtbar, man(n) soll nicht wissen, wo und wie das Kleid, der Rock, die Bluse aufgeht – gerade dies scheint den erotischen Reiz auszumachen. Und noch immer sitzen Reißverschlüsse und Knöpfe am Rücken und an der Seite, was Frauen zu Verrenkungen zwingt und in Abhängigkeiten von Männern – und auch mal Töchtern – bringt.

Die Ausstellung ist bis zum 28.1. 1995 im Württembergischen Museum für Volkskultur, Waldenbruch bei Stuttgart zu sehen.

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