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Musik aus Empörung

■ Der Komponist und Neubremer Klaus Huber wird siebzig Jahre alt

Klaus Huber, Schweizer, Neubremer und Komponist erfährt anläßlich seines siebzigsten Geburtstages nicht nur die Aufmerksamkeit der musikalischen Welt. Nach der pädagogischen Arbeit an der Freiburger Musikhochschule, die unzählige heute berühmte KomponitInnen geprägt hat, seit fünf Jahren emeritiert, kann sich der für viele unbequeme, weil politisch so wache Komponist nun ganz seinen Werken widmen, den Unterricht auf selbst ausgewählte Meisterkurse beschränken.

Klaus Huber ist einer der wenigen Komponisten, der den gesellschaftspolitischen Anspruch seiner Musik nicht nur nie aufgegeben, sondern im Gegenteil meist nach konkreten politischen Ereignissen, immer mehr transformiert und vertieft hat. Warum und für wen denn Neue Musik aufgeführt wird, die leidige und immer wieder gestellte Frage, beantwortet er: „Ich versuche in der Musik, die ich mache, das Bewußtsein meiner Zeitgenossen, die wie wir alle zu schlafenden Komplizen weltweiter Ausbeutung geworden sind, hier und jetzt zu erreichen, zu wecken. Und dies mit einem nicht geringeren Anspruch als dem: ihr Denken und Fühlen aufzubrechen, zu erschüttern. (...) Gerade um so viel, daß das Prinzip Hoffnung am Horizont aufzudämmern vermag – die konkrete Utopie: die Veränderung der Zukunft durch die Gegenwart“.

So mischen sich bei ihm die auch christlich motivierte, tiefe Empörung über den Zustand der Welt mit der Begeisterung über die Klangerfindung und der Strenge einer Materialstruktur: seine Musik also ist weder Agitpropkunst noch musikalische Esoterik, der Widerspruch und der Bruch zwischen Kunst und Wirklichkeit ist dauerhaftes, auch schmerzhaftes Thema. „Deshalb zögere ich nicht, meine Musik Bekenntnismusik zu nennen, sofern man bereit ist, darunter nichts Subjektivistisches zu verstehen.“ In diesem Sinne ist „Erniedrigt-Geknechtet-Verachtet-Vergessen“ (1995-1982) sein oratorisches Hauptwerk: Texte von Ernesto Cardenal mischen sich mit Briefen aus den Slums von Sao Paolo und Abschnitten aus Jesaja. Oder erinnert sei hier an das große Orchesterstück „Spes contra spem“ (Hoffnung gegen die Hoffnung) mit dem bezeichnenden Untertitel: Ein Contra-Paradigma zur „Götterdämmerung“ in vier Teilen mit einem Vorspiel. Huber verwendet hier u.a. Texte von Rosa Luxemburg, Peter Weiss, Friedrich Nietzsche: „Also nicht nur Hitler in uns, sondern auch Richard Wagner ist nicht so leicht zu überwinden“.

Hubers musikalisches Denken operiert mit dreierlei Materialien: es nimmt auf historische Musik Bezug, es läßt sich von Texten inspirieren wie eben solchen des nicaraguanischen Priesters und Revolutionärs Ernesto Cardenal, der christlichen Sozialistin/Mystikerin Simone Weil und auch der archetypischen Bilderwelt des russischen Dichters Ossip Mandelstam – um nur drei Namen zu nennen – und es speist sich in letzter Zeit immer mehr aus Verinnerlichung und Differenzierung der Klanglichkeit: darin nicht unähnlich dem stillen Spätwerk Luigi Nonos.

Klaus Huber, der ein riesiges Oeuvre aller Gattungen vorweisen kann, hat in den letzten Jahren die arabische Musik erforscht, nicht im Sinne einer materialen Vereinnahmung, sondern – nach dem Schock des Golfkrieges – einer Annäherung und eines Dialoges: das 1994 uraufgeführte „Die Erde bewegt sich auf den Hörnern eines Ochsen“ ist auf der Basis des arabischen Tonsystems geschrieben und die Wiedergabe vereint arabische und europäische Musiker. Der politisch intendierte Sinn ist die Erinnerung an verschüttete geschichtliche Gemeinsamkeiten, die er zum Beispiel auch in den Texten der europäischen Mystiker findet, die für Huber ohne die vorausgehende persische Sufi-Mystik nicht möglich wären. Neue Musik – nicht verständlich? Nicht für Klaus Huber: „Solange es den Aufschrei gibt, (...) solange es die emotionale Erschütterung im Lachen, in der Freude gibt, so lange wird es immer eine Musik, immer wieder eine „neue“ Musik geben (...) Für mich ist Komponieren a priori ein Akt der Befreiung, der immer in die Zukunft gerichtet ist“.

Ute Schalz-Laurenze

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