: Der Wille ist da, das Recht nicht
■ Eckhardt Barthel, ausländerpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, zu den geplanten Massenabschiebungen
taz: Bestärkt durch die letzte Innenministerkonferenz hat CDU- Innensenator Dieter Heckelmann vollmundig angekündigt, nun müsse verstärkt abgeschoben werden. Das betrifft zum einen Kriegsflüchtlinge und Deserteure aus Ex- Jugoslawien und zum anderen Kurden aus der Türkei. Wann soll denn hier die große Abschiebewelle anlaufen?
Barthel: Das weiß kein Mensch. Denn Serbien ist nicht bereit, die Betroffenen – in Berlin leben derzeit rund 8.000 Serben – aufzunehmen, solange kein Rückführungsabkommen mit diesem Staat abgeschlossen wurde. Die Innenminister wollen also zwar abschieben, aber sie können nicht. Besonders enttäuschend an dieser Innenministerkonferenz fand ich jedoch, daß keine Bleibemöglichkeit für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure beschlossen wurde. Ich halte es für unverantwortlich, diese Menschen nach Ex-Jugoslawien zurückzuschicken. Die Begründung von Kanther und Heckel- mann, es gäbe keine Todesstrafe, halte ich für mehr als zynisch.
Das Rückführungsabkommen mit Restjugoslawien kann doch gar nicht abgeschlossen werden, weil diesem Vorhaben das UN- Embargo entgegensteht. Ein Vertrag schlösse ja eine völkerrechtliche Anerkennung Serbiens ein.
Die Bundesregierung will einerseits normal abschieben dürfen und andererseits Serbien nicht anerkennen. Im Moment ist dadurch alles blockiert, aber Bonn will hier neue Wege suchen.
Das zweite Abschiebehindernis besteht darin, daß die Regierung in Belgrad angekündigt hat, sie werde niemanden aufnehmen, der im Ausland um Asyl gebeten hat. Wer also hier Asyl beantragt, wird – unabhängig von dessen Anerkennung – nicht ins Land gelassen.
Darüber habe ich keine gesicherten Informationen. Das käme vietnamesischen Verhältnissen gleich: Vietnam nimmt seine Landsleute auch nicht zurück.
Gibt es denn im Moment überhaupt Abschiebungen? Wegen des Embargos existieren doch gar keine Direktflüge nach Serbien.
Über Umwege wird immer mal wieder jemand abgeschoben, aber das sind Einzelfälle. Und rund 8.000 Betroffene können auf diesem Weg nicht zurückgeschickt werden, das weiß auch Heckelmann. Diese Dinge können jetzt nur noch auf Bundesebene geregelt werden. Allerdings ist Berlin davon am meisten betroffen, denn mit rund 36.000 hat es ungleich mehr Menschen aus Ex-Jugoslawien aufgenommen als andere Bundesländer. Die größte Gruppe sind hier die Bosnier mit rund 25.000, und diese werden auch weiterhin geduldet.
Sind die Abschiebeankündigungen von Heckelmann und den anderen Innenministern also einfach nur Propaganda?
Nein, leider nicht. Der Wille zu Massenabschiebungen ist ja vorhanden, und der Weg wird gesucht.
Eine auch von den Innenministerbeschlüssen betroffene Gruppe sind die Kurden aus der Türkei. Sind hier demnächst Massenabschiebungen zu erwarten?
In Berlin gab es bislang eine Art Stillhalteabkommen, solche Kurden nicht abzuschieben. Jetzt aber sollen die Kurden bundeseinheitlich keinen Abschiebestopp mehr genießen, also auch in Berlin. Ob das morgen beginnt, weiß ich nicht, denn das hängt von der Zeitdauer der Duldung der Betroffenen ab. Im Unterschied zu Ex-Jugoslawien sind hier keine völkerrechtlichen Abschiebehindernisse gegeben. Aber meines Erachtens gibt es politische Hindernisse. Für Kurden gibt es auch in den nicht umkämpften Gebieten der Türkei keine Sicherheit, das hat auch schon die Bundesjustizministerin bestätigt. Die sogenannte innerstaatliche Fluchtalternative existiert also für sie nicht. Und deshalb mache ich mir Sorgen, was mit den abschobenen Kurden dort passiert. Interview: Ute Scheub
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