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■ Der Alptraum aller deutschen Juweliere ist ausgeträumt:Bypass-Siggi packt aus!

Essen (taz) – Beschwerlich war's für die Herrschaften, die Juwelier- Schaufenster mit Vorschlaghämmern zu zertrümmern. Schließlich waren Lothar (heute 54) und Karl- Heinz (50) nicht mehr die jüngsten. Ihrem herzkranken Komplizen Siegfried zuliebe wählten die Einbrecher später schließlich eine bequemere Methode: Mit Lastwagen bretterten sie bis in die Auslagen hinein und bedienten sich. So jedenfalls beschreibt es Siegfried, auch schon 51. Er ist der einzige von ihnen, der im Prozeß vor dem Essener Landgericht aussagt. Jetzt ist Halbzeit; Richter Franz Hengst hat noch bis Ende Februar Verhandlungstage angesetzt.

Neun Jahre lang sollen die drei Rheinländer der Alptraum aller Juweliere zwischen Hamburg und München gewesen sein. Die Anklage listet Einbrüche in 27 Städten auf, vor allem im Ruhrgebiet. Die Beute allein an Uhren und Schmuck soll über vier Millionen Mark wert gewesen sein.

„Wir waren auf Juwelier-Blitzeinbrüche spezialisiert“, erklärt Siegfried. „Normalerweise ist es so abgelaufen: Karl-Heinz hat die Fluchtwagen besorgt, meist Golf GTI und Audi 80. Lothar war der beste Fahrer von uns. Er hat im Auto den Polizeifunk abgehört. Karl-Heinz und ich haben mit den Hämmern die Scheiben eingeschlagen und den Schmuck aus der Auslage gegriffen.“ Getarnt habe man sich mit Sturmhauben, mit eigens gestohlenen Perücken und in einem Fall auch mit Rudi-Carell- und Genscher-Masken.

1990 intensivierte das Ganoven- Trio seine Tätigkeit; alle paar Wochen klirrte es irgendwo. Die Juweliere verstärkten schließlich ihre Scheiben. Mit Vorschlaghämmern war also nichts mehr auszurichten, zumal Siegfried mittlerweile einen Infarkt erlitten hatte. Da traf es sich, daß Spediteur Karl-Heinz ein Experte für schwere Fahrzeuge war. Er schloß Mercedes-Lkws mit Ladebühne kurz – ideale Türöffner: Im Rückwärtsgang fuhr man nun gegen die Scheiben, die Ladebühne diente als Rammbock.

„Wenige Kilometer vom Tatort entfernt zogen wir uns im Gebüsch um und teilten die Beute. Dann fuhren wir getrennt nach Hause“, berichtet Siegfried. Er als Familienvater bemühte sich, zeitig heimzukehren, „bevor die Kinder aufwachten“. Wenn die Schule anfing, hatte der Papa seinen Anteil schon an einen Hehler verscherbelt – zu 15 bis 20 Prozent des Ladenpreises. Der Deal hatte sich gelohnt: „10.000 Mark im Monat hat jeder von uns so verdient.“

Im Sommer 1992, wenige Monate vor der Verhaftung des Trios, bot ein anderer Hehler statt Geld Waffen an. Siegfried sagt: „Wir haben auch deshalb zugegriffen, weil wir körplich nicht mehr die fittesten waren.“ Da vertraute man lieber auf die abschreckende Wirkung einer Maschinenpistole, eines Pump-Action-Gewehrs und dreier Revolver. „Geschossen haben wir jedoch nie“, beteuert Siegfried.

Karl-Heinz und Lothar schweigen. Ihnen drohen über zehn Jahre Knast mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Bypass-Siegfried dagegen hat erkannt: „Meine Lebenserwarung ist nicht mehr so hoch, daß ich mit den Jahren spielen kann.“ Er hat sich zu einer „Lebensbeichte“ durchgerungen: „Mein Leben ist eine ununterbrochene Kette von Strafe und Haft. Schon in der Schule habe ich die Milchkasse geklaut.“ Die Staatsanwaltschaft wußte die Aussagefreude zu honorieren: Siegfrieds Verfahren wurde abgetrennt, er kam mit siebeneinhalb Jahren Gefängnis davon.

Und noch einen Grund hat Siegfried dazu bewegen können auszusteigen: „Meine Frau hat gesagt: Wenn du jetzt keinen endgültigen Schlußstrich ziehst unter dein bisheriges Leben, dann trenne ich mich von dir!“ Patrick Bierther

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