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Irland treibt weiter führungslos im Atlantik

■ Koalitionsgespräche zwischen Labour und Fianna Fáil im Streit abgebrochen

Dublin (taz) – Nun ist aus der neuen irischen Regierung doch nichts geworden. Bis Montag schien alles unter Dach und Fach, die alten Regierungspartner Fianna Fáil („Soldaten des Schicksals“) und die Labour Party standen kurz davor, sich auf eine erneute Koalition unter Führung des neuen Fianna-Fáil-Vorsitzenden Bertie Ahern zu einigen. Gestern um zwei Uhr morgens brach Labour-Chef Dick Spring die Verhandlungen ab: Er hatte einem Bericht des neuen Generalstaatsanwalts Eoghan Fitzsimons entnommen, daß die Fianna-Fáil-Minister ihn – und das Parlament – nach Strich und Faden belogen hatten.

Die Vorgeschichte: Premierminister Albert Reynolds hatte vor knapp vier Wochen seinen politischen Weggefährten, den Generalstaatsanwalt Harry Whelehan, im Alleingang zum Präsidenten des High Court ernannt. Daraufhin zog die Labour Party aus der Regierung aus: Sie lehnte den Opus- Dei-Richter ab, weil er unter anderem einen Auslieferungsantrag für einen des Kindesmißbrauchs beschuldigten Pfarrer sieben Monate verschleppt hatte. Seine Begründung: Es sei ein Präzedenzfall für das neue Auslieferungsgesetz gewesen und hätte deshalb genauester Prüfung bedurft. Drei Tage später stellte sich das als Lüge heraus, es gab längst einen Präzedenzfall. Als die anderen Parteien davon Wind bekamen, mußte Reynolds seinen Hut nehmen, wenige Stunden später trat auch Whelehan zurück.

Aus dem Bericht des Generalstaatsanwalts Fitzsimons geht jetzt hervor, daß Reynolds und seinen Fianna-Fáil-Kollegen die Bedeutung des Präzedenzfalles von Anfang an bewußt war. Sie hatten nämlich Fitzsimons vorgeschickt, um Whelehan zum Rücktritt zu bewegen – vergeblich. Das hatte man dem Parlament jedoch verschwiegen. Im Gegenteil: Noch am Tag danach bescheinigte Reynolds dem Richter Integrität.

Die Enthüllungen haben bei der Labour Party tiefes Entsetzen ausgelöst, zumal verschiedene Fianna- Fáil-Minister nun auf Gedächtnisschwund plädieren. Wie es weitergehen soll, ist unklar. Reynolds, der die Amtsgeschäfte bis zur Bildung einer neuen Regierung weiterführt, mußte die KSZE-Konferenz in Budapest Montag abend frühzeitig verlassen und nach Dublin zurückkehren. Die Parlamentsdebatte, bei der Bertie Ahern eigentlich gestern nachmittag zum Premierminister gewählt werden sollte, war bei Redaktionsschluß noch im Gange. Mit einer Regierungsbildung ist vorerst jedoch nicht zu rechnen. Die Affaire hat zu einem Zerwürfnis innerhalb Fianna Fáils geführt, zwischen Reynolds und Ahern herrscht Mißtrauen. Ahern sagte am Montag, er habe „kein Interesse daran, einer Partei vorzustehen, die an Betrug beteiligt ist“.

Die Labour Party steckt in der Klemme: Eine Koalition mit Fianna Fáil erscheint kaum noch möglich, will man nicht den frisch erworbenen Ruf als Saubermann verspielen. Die Oppositionsparteien Fine Gael und Democratic Left, die sich Labour als Partner in einer Regenbogenkoalition angedient hatten, sind daran nicht mehr allzu stark interessiert, nachdem die Labour Party sie abgewiesen hatte. Zumindest wäre ihr Preis jetzt höher. So scheinen Neuwahlen die wahrscheinlichste Option. Sie würden am zweiten Weihnachtstag oder am 3. Januar stattfinden. Ralf Sotscheck

Kommentar Seite 10

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