In Essen gibt es spanische Fische

Am Freitag beginnt in Essen das Gipfeltreffen der Europäischen Union / Die Themenpalette reicht vom Bau des Brennertunnels über die Osterweiterung der EU bis zur Agrarpolitik  ■ Aus Brüssel Alois Berger

„Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Jacques“, schreibt Bundeskanzler Helmut, „wir müssen unsere Beratungen in Essen dazu nutzen, ein klares Siganl unserer Entschlossenheit zu setzen.“ Doch schon bei der europäischen Beschäftigungsinitiative, die der Kanzler in seinem Brief an Delors als erstes Thema für den EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Essen ankündigt, muß der Präsident der Europäischen Kommission starke Zweifel an der Entschlossenheit der deutschen Regierung hegen.

Seit langem fordert Jacques Delors mehr Einsatz bei der Umsetzung seines Weißbuches für Wachstum und Beschäftigung. Er schlägt darin vor, bis 1999 insgesamt 800 Milliarden Mark in grenzüberschreitende Verkehrs-, Energie- und Informationsnetze zu investieren. Das Programm soll zum einen den Wirtschaftsstandort Europa attraktiver machen, zum anderen mehrere Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen.

Schon mehrfach haben die Regierungschefs betont, wie wichtig angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Europa eine solche Beschäftigungsinitiative wäre. Beim letzten Gipfel in Korfu haben sie sogar elf Verkehrsprojekte, vor allem Neubaustrecken für Hochgeschwindigkeitszüge, als vorrangig beschlossen. Nur: Geld wollen sie dafür nicht herausrücken. Statt dessen hoffen sie auf private Investoren. Aber deren Interesse hielt sich von Beginn an in Grenzen. Und so ist nur bei drei der elf vorrangigen Projekte die Finanzierung halbwegs gesichert. Die anderen, vom Brennertunnel bis zum Hochgeschwindigkeitszug zwischen Paris und Karlsruhe, sind festgefahren. Delors möchte deshalb von den EU-Mitgliedsländern die Erlaubnis bekommen, für die Verkehrsnetze Eurokredite aufzunehmen.

Doch das Beschäftigungssignal wird ausbleiben. Bereits am Montag haben Finanzminister Theo Waigel und der britische Schatzkanzler neue Euroanleihen für die Verkehrsnetze kategorisch abgelehnt. Auf dem Gipfel in Essen werden die Staats- und Regierungschefs daher kaum mehr als die üblichen Beschwörungsformeln verbreiten, daß die Arbeitslosigkeit jetzt ernsthaft bekämpft werden müsse.

Beim zweiten großen Gipfelthema, der langfristigen Vorbereitung des EU-Beitritts mittel- und osteuropäischer Staaten, wird dagegen der Kommissionspräsident Delors den deutschen Eifer etwas bremsen. Er wird nicht der einzige sein, der aufpaßt, daß Kohl den eingeladenen Staats- und Regierungschefs von Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Slowakei und Tschechiens nicht zu viele Hoffnungen macht. Bereits die Einladung wurde von vielen als unnötiges Vorpreschen empfunden. Denn die EU ist zur Zeit weit davon entfernt, eine Osterweiterung wirtschaftlich zu verkraften.

Wie SPD-Abgeordnete im Europaparlament ausgerechnet haben, müßten die EU-Beiträge der Mitgliedsländer verdoppelt werden. Deutschland hätte danach statt 40 künftig 80 Milliarden Mark nach Brüssel zahlen. Allein für die Strukturfonds, mit denen rückständige Regionen auf EU-Niveau gehoben werden sollen, wären für diese Länder in den nächsten 21 Jahren rund 80 Milliarden nötig. Vor einer Osterweiterung müßte die EU zudem ihre gesamte Agrarpolitik reformieren, und dafür gibt es zur Zeit keine Mehrheiten.

Für die südlichen EU-Länder Griechenland, Italien, Spanien und Portugal gibt es ohnehin Wichtigeres als eine rasche Erweiterung der EU nach Osten. Nach ihren Vorstellungen müssen künftig alle Zuschüsse an die Mittel- und Osteuropäer mit Hilfen für die Zusammenarbeit im Mittelmeerraum aufgewogen werden. Der Gipfel wird deshalb über einen Kommissionsentwurf befinden müssen, der Finanzhilfen über insgesamt elf Milliarden Mark für die Mittelmeeranrainer von Marokko bis Israel vorsieht. Der Haushaltsausschuß des Europaparlaments jammert bereits, daß dadurch die mittelfristige Finanzplanung überstrapaziert werde, so daß für spontane Aktionen wie etwa in Mostar künftig kein Geld mehr da sei.

In seinem Brief an Delors hat der Kanzler für Essen auch wieder den Ritt auf seinem besonderen Steckenpferd, dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen, angekündigt. Im Maastrichter Vertrag wurde der Aufbau einer gemeinsamen Innen- und Justizpolitik auf Drängen von Kohl als zweite Säule der EU beschlossen. Doch seitdem hat sich nicht viel bewegt. Die Europäische Polizeistelle Europol hat zwar mittlerweile einen Sitz in Den Haag, aber weder Kompetenzen noch eine Rechtsgrundlage. Der letzte Einigungsversuch scheiterte erst vor einer Woche.

Es kann aber auch sein, daß der Gipfel von einem ganz anderen Thema beherrscht werden wird, einem scheinbar unauffälligen, das plötzlich ganz groß wird. Das war bisher meistens so. Die spanischen Fischforderungen würden sich da beispielsweise anbieten, denn die Regierung in Madrid will dafür notfalls den zum Jahresende beschlossenen EU-Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands blockieren. Sie hatte bei den Aufnahmeverhandlungen der EU mit Norwegen die Zusage erkämpft, daß die diskriminierenden Einschränkungen für die spanische und die portugiesische Flotte schon 1996 und nicht erst 2002 wegfallen. Bisher dürfen iberische Schiffe nur an bestimmten Tagen fischen. Doch nachdem die Norweger ihren Beitritt abgeblasen haben, halten London und Paris die Abmachung für hinfällig. Sie fürchten, daß die traditionell sehr große spanische und portugiesische Flotte den knappen Fischbestand weiter dezimiert. Fische gehören zu den explosivsten Themen in der Europäischen Union. Genug Stoff für einen Gipfelkrimi.