: taz-Serie: Wo hebt Berlin ab? / Für die derzeit prognostizierten Fluggastzahlen bräuchte Berlin keinen neuen Großflughafen / Wird Sperenberg gebaut, bleiben die Airports Tegel und Tempelhof noch 20 Jahre offen / Schönefeld-Ausbau am...
Die Argumente für einen neuen Großflughafen hörten sich überzeugend an. Kurz nach dem Mauerfall gab es solch eine optimistische Aufschwungserwartung, daß die Lufthansa mit einer Explosion bei den Passagierzahlen im Luftverkehr rechnete. 22 Millionen Fluggäste sollten Ende des Jahrzehnts bereits von Berliner Rollfeldern abheben, weitere zehn Jahre später sollte ihre Zahl mit 38 Millionen unaufhaltbar auf das Vierfache der heutigen Menge gesprungen sein. Damals schien völlig klar zu sein: die Kapazitäten der drei vorhandenen Flughäfen Tegel, Tempelhof und Schönefeld könnten diesem Ansturm nicht standhalten, ein neuer Flughafen mußte her – größer als London, Frankfurt am Main und Paris.
Die Wachstumsprognosen sind längst zurückhaltenderen Annahmen gewichen. Eine Kapazität von dreißig Millionen Passagieren, so schrieb das Brandenburger Umweltministerium abschließend zum Raumordnungsverfahren, würde den Anforderungen „langfristig gerecht“ – das ist die Hälfte dessen, was die Berlin-Brandenburger Flughafen Holding (BBF) bedienen will. Folglich ist es wenig überraschend, daß der den Grünen nahestehende Minister Matthias Platzek von den geforderten vier Start- und Landebahnen eine gestrichen hat.
Das gewichtigste Argument für einen Mega-Airport ist mit der Korrektur des Fluggastaufkommens damit vom Tisch. Für dreißig Millionen Passagiere bräuchte Berlin keinen neuen Flughafen. Der ehemalige DDR-Flughafen Schönefeld allein könnte sechzehn Millionen Passagiere jährlich bedienen, wenn genügend Terminals gebaut würden.
Bei dem Wunsch nach einem „Luftverkehrszentrum“ geht es also längst nicht mehr um die angeblichen Kapazitätsengpässe, sondern um politische Entscheidungen, die dringend notwendig sind. Tegel soll langfristig geschlossen und Tempelhof nach einem Beschluß des Abgeordnetenhauses seinen Betrieb „so schnell wie möglich“ einstellen. Schließlich ist die Lage des City-Airports mitten im Berliner Häusermeer gefährlich. Der Lärm der auf Tempelhof anfliegenden Turbo-Props und der in Tegel landenden Linienmaschinen, belästigt darüber hinaus Hunderttausende Berliner.
„Der Ausbau der Flughäfen bis zu ihren theoretischen Leistungsgrenzen ist nicht vertretbar“, schreibt das Brandenburger Umweltministerium in seinen Ergebnissen zum Raumordnungsverfahren und rät aus fachlichen Gründen denn auch zu einem Neubau. Und wenn der Berliner CDU/ SPD-Senat und das Brandenburger SPD-Kabinett weiterhin an einem Neubau festhalten, dann weil sie sich in erster Linie von dem zehn Milliarden Mark teuren Bauprojekt eine Ankurbelung der Konjunktur und mit einem internationalen Großflughafen mehr Attraktivität der Region für die Wirtschaft erhoffen.
Der Streit, der inzwischen um den richtigen Standort ausgebrochen ist, wäre verständlich, wenn in absehbarer Zeit sechzig Millionen Passagiere in Berlin abgefertigt werden müßten. Dann wäre richtig, nicht zu kleckern, sondern zu klotzen: Sperenberg wäre als stadtferner und mit dem ICE zu erreichender Standort eine Überlegung wert. Doch abgesehen von seiner – nach heutigen Erkenntnissen – überdimensionierten Kapazität, fehlen schließlich auch die zehn Milliarden Mark, die das Ausrollen der Start- und Landebahnen, der Bau der Terminals, das Legen von Schienen und das Gießen von Asphalt kosten würden. Ein Betrag, den die Länder Berlin und Brandenburg (zu jeweils 37 Prozent an der Holding beteiligt) und der Bund (26 Prozent) nicht haben.
Schönefeld-Süd soll drei Milliarden Mark billiger sein, munkeln Verkehrsexperten. Abgesehen vom Kostenvorteil könnte dieser Standort aber auch stückweise in Betrieb genommen werden, weil die Kapazitäten des nördlich gelegenen alten Flughafens weiter genutzt werden könnten. Eine ökonomisch nicht zu unterschätzende Voraussetzung. Denn in Schönefeld werden noch einige hundert Millionen Mark investiert, wie etwa für den Bau eines neuen Terminals im kommenden Jahr. Darüber hinaus wären bis zu einer Inbetriebnahme des Großflughafens vermutlich zwei weitere Terminals notwendig. Damit diese Investitionen sich bezahlt machen, müßte Schönefeld aber noch 25 Jahre betrieben werden.
Diese Ausgaben in Schönefeld würden sich bei einem Bau von Sperenberg nicht rentieren. Denn wenn in Sperenberg nach der ersten Ausbaustufe zwei Start- und Landebahnen mit einer Kapazität für dreißig Millionen Flugreisende in Betrieb gehen, müßten die Berliner Flughäfen komplett geschlossen werden. Andernfalls wäre Sperenberg nicht ausgelastet – was wiederum bedeutet, daß sich die Investitionen für den Großflughafen nicht bezahlt machen würden.
Fällt die Wahl auf Sperenberg, muß der Ausbau Schönefelds also um jeden Preis verhindert werden. Damit aber würden wichtige Entscheidungen in der Luftverkehrspolitik für die vorhandenen Flughäfen blockiert. Denn ohne Ausbau von Schönefeld kann Tempelhof nicht geschlossen werden, weil auch dessen Kapazitäten bis zur Eröffnung des Mega-Airports gebraucht würden.
Welche Folgen diese Selbstblockade hat, war in den vergangenen vier Jahren zu beobachten. Mehr als den Weg nach Schönefeld auszuschildern und dort eine Empfangshalle zu renovieren, schien dem Senat nicht möglich zu sein. Dabei könnte das neue Terminal längst stehen und Tempelhofs Counter geschlossen sein. Statt dessen aber stauen sich in Tegel die Passagiere, und Tempelhof hat in den letzten fünf Jahren ein Defizit von 110 Millionen Mark angehäuft. Dirk Wildt
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