Präzedenzfall

■ betr.: „Alles Opfer; oder was?“, taz vom 1.12.94

Mit Entsetzen nehmen wir zur Kenntnis, daß eine ehemalige Aufseherin des KZ Ravensbrück Entschädigungszahlungen für eine zehnjährige Haft bekam. Sie war zu dieser aufgrund ihrer Verbrechen im NS-Faschismus verurteilt worden. [...]

Dieses Vorgehen hat bundesdeutsche Kontinuität. Die Nichtverarbeitung der NS-Geschichte, der Ermordung von mehr als sechs Millionen Jüdinnen und Juden, läßt die Verdrehung von ehemaligen Täterinnen zu heutigen Opfern zu. Dieser Fall ist ein Präzedenzfall. Uns ist bekannt, daß auch andere TäterInnen Anträge auf Entschädigung gestellt haben. Es ist zu erwarten, daß im Klima des gesamtdeutschen Rechtsrucks diese Anträge positiv entschieden werden.

Kunz und andere TäterInnen haben nix zu bekommen. Überlebende des NS-Faschismus kämpfen seit Jahrzehnten für „Entschädigungen“, die die BRD-Regierung fast allen bis heute verwehrt. Diejenigen, die einen Antrag stellten, waren menschenunwürdigen Bedingungen in bundesdeutschen Gerichten ausgesetzt. Diese Prozedur zog sich über Jahrzehnte hin, bis heute.

Es ist für uns das Selbstverständlichste, zu fordern, daß die Anerkennung von Margot Kunz als „Opfer des Stalinismus“ unverzüglich zurückgenommen wird. Wir fordern, daß die Entschädigungszahlungen von 64.350 DM an die Behörde zurückgeht und das Geld den Überlebenden von Ravensbrück überlassen wird.

Wir fordern eine „Entschädigung“ für alle Überlebenden KZ- Häftlinge des NS-Faschismus. Darüber hinaus fordern wir, daß die Bundesregierung Gelder zum Erhalt aller Gedenkstätten für die im NS-Faschismus Ermordeten zur Verfügung stellt. Autonome Lesbengruppe,

Bremen