: Wie vergiftete Pfeile
■ betr.: „Staatliches Wahrheitsmo nopol“, taz vom 5.12.94
[...] Meier hat vollkommen recht: Es ist armselig und gleichzeitig gefährlich,wenn eine Meinung – so perfide sie auch immer sein mag – zum Straftatbestand erklärt wird. Demagogische Begriffe wie der von der „Auschwitz-Lüge“ sind wie vergiftete Pfeile, aber sie werden nicht dadurch unschädlich gemacht, daß sie in die Liste der geächteten Waffen aufgenommen werden. Sie müssen in der streitbaren öffentlichen, ideologie-kritischen Debatte entschärft werden.
Leider hantieren wir in unserer Sprache mit vielen solcher vergifteter Pfeile, die, in der Vergangenheit mit demagogischer Absicht gezielt lanciert, nicht mehr als solche erkannt werden. „Passive Bewaffnung“ oder „Entsorgungspark“ sind Beispiele für Begriffsschöpfungen aus der jüngeren Vergangenheit, bei denen der ideologische Gehalt mit der Sachbezeichnung so verschmilzt, daß die normative Bewertung allmählich selbst zum Teil der bezeichneten Sache wird.
Bei älteren demagogischen Begriffen erkennen wir das oft nicht mehr und transportieren sorglos das normative Virus im alltäglichen Sprachgebrauch arglos und unbewußt weiter. Zum Beispiel fällt mir immer wieder auf, daß in Berichten, auch in dieser Zeitung, vom „Durchkämmen“ die Rede ist, wenn es um Razzien gegen illegale ArbeiterInnen oder Flüchtlinge geht – aber ohne Gänsefüßchen! Ist das kein faschistischer Sprachgebrauch, wenn die Suche nach Menschen zum Durchkämmen des kostbaren Haupthaares des deutschen, ordentlich arbeitenden Volkskörpers wird? Menschen,die in der Illegalität leben müssen, werden so mit Ungeziefer gleichgesetzt. Jedenfalls wirkt es auf subtile Weise so, auch wenn das nicht beabsichtigt ist.
Leider unterläuft Horst Meier eine solche gefährliche Arglosigkeit: Er spricht von den „in Auschwitz Vernichteten“. Es stimmt, daß die Faschisten ein Vernichtungsprogramm für die nach ihrer Ideologie „überflüssigen“ oder „schädlichen“ Menschen hatten. Aber das ist eben faschistische Terminologie und Denkweise, daß Menschen etwas sind, das vernichtet werden kann, ausradiert, ausgemerzt, ausgelöscht – sauber und spurlos – so als hätte es sie nie gegeben. Genau so waren die Massenmordprogramme der Nazis angelegt: Vergasen, verbrennen, abhaken, die Erinnerung auslöschen. Aber trotzdem wurden die Menschen in Auschwitz und anderswo doch nicht „vernichtet“, sondern sie wurden ermordet! Sie wurden getötet, aber die Erinnerung an sie, an jeden einzelnen von ihnen, wurde nicht ausgelöscht! Das bleibt die Wahrheit, die wir gegen die „Auschwitz-Lüge“ genauso wie gegen die verborgenen faschistischen Minenfelder in unserem eigenen Sprachgebrauch zu verteidigen haben. Imma Harms, Berlin
[...] Weshalb in philosophische Sphären abgleiten? Der Holocaust ist ein schlechtes Beispiel, um zu zeigen, daß „historisches Wissen“ nicht aus reinen Fakten besteht, sondern „immer auch eine Interpretation der Vergangenheit“ darstellt. Denn die Vernichtung in Auschwitz ist eine Tatsache, an der es schlicht nichts zu deuteln gibt. [...]
Wer heute noch die „Auschwitz-Lüge“ verbreitet, tut dies also entweder aufgrund eines psychischen Schadens oder um ein bestimmtes Ziel zu verfolgen: nämlich die Diffamierung der Überlebenden von Auschwitz und ihrer Nachkommen. Das Unterstrafestellen der „Auschwitz-Lüge“ ist also kein „Armutszeugnis für die Demokratie“ und übrigens auch kein Denkverbot, sondern nur die logische Reaktion des Gesetzgebers auf eine kriminelle Handlung. Ich sehe auch keine Gefahr für die „politische Kommunikation“. Im Gegenteil. Wer an einer Diskussion teilnehmen will, sollte sich an einige Regeln halten und sich nicht in Beleidigungen ergehen. Außerdem: Weshalb soll ausgerechnet das deutsche Volk, „das Hitler zu Lebzeiten nicht austrieb“, heute schon wieder die „papiernen Lügen verstörter Agitatoren“ über sich ergehen lassen? Das klingt gerade so, als sei Deckert der harmlose Insasse eines Altersheimes, der seinen Pfleger mit wirren Geschichten vollsabbelt. Spätestens seit dem Brandanschlag auf die Synagoge in Lübeck ist aber wieder deutlich geworden, daß Antisemitismus praktische Folgen hat.
„Strafprozesse sind kein Mittel der Aufklärung“ – aber sie sind doch ein Mittel, um sich gegen Menschen zu wehren, bei denen offensichtlich keine Überzeugungsarbeit mehr fruchtet. Bert Hoppe, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen