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Flauschige Helme und niedliche Reibeflächen

■ "Siegfrieds Lust", die Modenschau zum Thema Mann, Tarnung und Täuschung von Fiona Bennett und Lisa D.

Der Auftakt ist bezeichnend: Pavarotti besingt Carusos Gesang: „tanta belleza“. Geschrieben wurde diese wundervoll zart schmelzende Hymne, dieses Lied voll rauschender Bewunderung von Lucio Dalla. Drei Männer aus dem Land der Machos, vereint in dieser sanften akustischen Liebeserklärung, eröffnen „Siegfrieds Lust“, die Modenschau zum Thema Mann, „Tarnung und Täuschung“ von Fiona Bennett (Hüte) und Lisa D. (Kleidung) in der „Bar Jeder Vernunft“. Zum Pavarotti- Schmelz marschiert Flatz mit dunkler Sonnenbrille über die Bühne, kalt, hart, gleichgültig. Er präsentiert seinen Körper (oben ohne), seine physical sculpture, wie die Tätowierung auf dem Rücken verheißt, in typischer Manier: als Panzer.

„Siegfrieds Lust“, das ist die Modenschau der Antagonismen. Archaisch die Kleidung im Detail. In ihrer Kombination, der Zufälligkeit und Zerrissenheit, jedoch ist sie dem industriell geprägten Großstädter auf den Leib geschrieben. So auch Wolfgang Flatz, dem Hardcore-Konzeptkünstler und Kunstprofessor, privat meist mit einer 120-Kilo-Dogge namens Hitler unterwegs, ein Mann, (nach außen) hart wie Kruppstahl. Die martialische Körperinszenierung, die Lisa D. für ihn fand, gehört ebenso zu seinem Kunstkonzept. Ein Auftreten, das mit der Ästhetik der Herrenmenschen sensible Nerven trifft, soll irritieren und provozieren.

Dieser Mann nun steht auf dem Laufsteg der Mode – in „Igel“hosen. Der wunderbar braun-beige schimmernde Stoff mit seinen Stacheln ist der wohl beeindruckendste der Kollektion. Gleichermaßen ist er das Sinnbild der modisch verordneten männlichen Transformation: Mann trägt längst keine Eisenrüstungen mehr, und selbst wenn er Härte demonstriert – Lisa D. nimmt es ihm nicht ganz ab: Des Mannes Stacheln sind nur eine optische Täuschung, nicht viel mehr als eine niedlich anzuschauende Reibefläche.

Verantwortlich für diese subtile Anti-Inszenierung des Künstlers Flatz ist, wenn man die Sache bis an die Wurzeln zurückverfolgt, Otto Sander. Der Schauspieler hatte die Frühjahrsshow von Fiona Bennett und Lisa D. „plötzlich obszön: der Flieder“ gesehen und sich kurzerhand als Modell angeboten, falls die Damen einmal Männermode machen sollten. Auf dieser Bühne gibt er nun den traurigen Antihelden, dem sowieso immer das Herz des Publikums gehört: Nachlässig mit sich selbst, die Kleidung nach dem Zufallsprinzip zusammengestellt – zu groß, zu lang oder dreimal angestückt. Dieser „Siegfried“ ist ein verschusseltes Genie in Schwarz-Grau-Blau, das bestimmt nicht von dieser Welt ist.

Dank Sanders Anregung hatten sich die beiden Designerinnen, die seit knapp fünf Jahren ein gemeinsames Atelier in Mitte haben, mit dem Mann an sich beschäftigt. Für die beiden bis dahin gestalterisch die großen Unbekannten „XY“. Das Ergebnis: Brüche, Zerrissenheit, Auflösung! Der Mann, ein Großstadtchamäleon. Nicht Held, nicht Hascherl, nicht Banker, nicht Bauer. Irgendwie wirken diese Männer verloren, wenn sie zu weiten Schritten ausholen. Mal sind einfach lächerlich in ihren schlabbrigen Strickhosen, die kaum mehr als eine Variante des langen Urmodells der U-Hose sind – und gerade deshalb scheinen die Männer um so liebenswürdiger. Gleich darauf sind sie gnadenlose Großstadtcowboys, einsam und untouchable, obwohl sie schnitttechnisch kaum in Form gehalten werden, denn die Revers sitzen absichtlich schief, die Schultern hängen tief herunter, Jacketts gar wurden sichtbar dreimal angestückt und zum Mantel verlängert. Mal sind die männlichen Weichteile gepolstert, seltener hingegen die Schultern.

Und wenn, dann drängt sich postwendend der Vergleich mit einem Roboter auf. Und erst die Stoffe des Drunter und Drüber: handgearbeiteter Filz, grob, zerschlissen oder angerauht sowie durchsichtig gewobenes Sackleinen und andere Naturstoffe, die problemlos mit glänzender, gesteppter Kunstfaser kombiniert werden.

Lisa D. kleidete die 20 Models, darunter auch Rolf Zacher, Modefotograf Joachim Gern, Käthe Be sowie Schauspieler Steffen Wink und Nico von den „Passionfruits“, ein – inspiriert von Siegfried, dem Helden der Nibelungensage, aber auch von anderen Romanhelden. Von Siegfried schließlich ist das Lindenblatt geblieben: die Markierung seiner verletzlichen Stelle klebt auf Pullis, Hemden, Jacken, Jacketts und Mänteln. Helden also waren die Musen der Lisa D., genauso wichtig aber war deren Verletzlichkeit: „Das habe ich in der Arbeit endeckt, daß mich die Heldenmythen reizen, aber ich brauche offensichtlich auch die gebrochenen Charaktere, das sind die Männer, die mich reizen, für sie zu gestalten.“

Viel leichter hingegen geht die Modistin Fiona Bennett dem Mann ans Haupt. Die Dozentin der Vivienne-Westwood-Klasse an der HdK zeigt sprühende Phantasie und herrlichen Humor in ihren Hutkreationen: „Haupt“, „Held“, „100 %“ und „Treu“ schreibt sie den Männern auf überdimensionale ballonförmige, zylindrische oder eckige Hüte. Sie variiert das Visier eines Ritterhelms oder eine alte Motorradmütze in blauem Flausch und pflanzt Käthe Be eine halbe Welt- oder reflektierende Spiegeldiscokugel auf die Glatze. Fiona Bennett kennt wirklich keine Grenzen, wenn es um den Hut geht. „Ich mußte einfach alles maßlos übertreiben, aber vielleicht wollte ich auch nur den Humor testen, denn ein Mann, der diese Hüte trägt, braucht auf jeden Fall Humor“, erklärt sie.

Nach gut 45 Minuten Show wieder bei Pavarotti angelangt, ist soviel klar: Sollte es tatsächlich Helden geben, die es wagen, den tristen männlichen Einheitslook mit „Siegfrieds Lust“ radikal aufzulockern (was wünschenswert wäre), dann haben sie sicherlich zweierlei: Humor und Mut. Petra Brändle

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