: Keine Arbeit, also keine Duldung, also keine Arbeit
■ Kurdische Familie wurde Opfer einer Köpenickiade / Kein Einzelfall / Das Besondere: Heckelmann verhinderte Abschiebung, Arbeitsamt trotzt Sozialgericht
Der Schuster Wilhelm Voigt, gerade aus dem Gefängnis entlassen, verfängt sich hoffnungslos in den Mühlen der Bürokratie. Ohne Aufenthaltsgenehmigung bekommt er keine Arbeit und ohne Arbeit keine Aufenthaltsgenehmigung. Irgendwann hat er die Nase gestrichen voll, ersteht beim Trödler eine Hauptmannsuniform, unterstellt sich ein Wachkommando, besetzt das Köpenicker Rathaus, läßt den Bürgermeister verhaften und fährt mit der geklauten Gemeindekasse auf und davon. Als der Fall am 17. Oktober 1906 durch die Presse der Hauptstadt geht, ist die Polizei gnädig und stellt dem Schuster endlich einen Paß aus.
Jetzt schreiben wir das Jahr 1994, und die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick wiederholt sich täglich. Allerdings nur ihr erster Teil: Keine Aufenthaltserlaubnis, also keine Arbeitserlaubnis und vice versa – ein Teufelskreis. Jetzt hat es eine staatenlose kurdische Familie aus dem Libanon erwischt. Das Besondere an ihrem Fall: Anders als Wilhelm Voigt hat der Kurde Ibrahim F. sogar ein deutsches Gericht hinter sich und kriegt dennoch keine Arbeitserlaubnis. Die Vorgeschichte: Nach dem Scheitern eines Asylgesuches verweigert die Senatsverwaltung für Inneres dem Familienvater eine Aufenthaltsbefugnis mit dem Argument, die ganze Familie – seine kurdische Frau und zwei Kinder – lebe von Sozialhilfe. Das aber tut sie nicht freiwillig: Mutter F. besitzt zwar Aufenthaltsbefugnis und Arbeitserlaubnis, kann aber aus Gesundheitsgründen nicht arbeiten. Vater F. will arbeiten, hätte auch einen Arbeitsplatz, darf aber mangels Papieren nicht.
Als seine Duldung nicht verlängert wird, gerät er sogar in Abschiebehaft und soll am 13. Oktober Richtung Beirut verschafft werden. Doch kurz vor Abflug geschieht ein Wunder und Innensenator Dieter Heckelmann persönlich verhindert Abschiebung und weitere Inhaftierung des Mannes.
Dessen Probleme sind damit aber nicht gelöst. Immer noch kriegt er von der Innenverwaltung wegen mangelnden Einkommens keine Aufenthaltserlaubnis und vom Arbeitsamt wegen ungeklärten Aufenthalts keine Arbeitserlaubnis. Um den Teufelskreis zu durchbrechen, marschiert sein Anwalt Rüdiger Jung zum Sozialgericht. Dieses verdonnert tatsächlich das Arbeitsamt, unter Androhung eines Zwangsgeldes, zur Erstellung der Arbeitserlaubnis. Ein womöglich exemplarischer Gerichtsbeschluß, denn die Richter befinden, der Aufenthaltsstatus des Kurden sei gleichgültig, faktisch werde er ja schon geduldet. Aber Ibrahim F. hat sein Papierchen immer noch nicht bekommen. Das Arbeitsamt fordert weiterhin, daß erst die Innenverwaltung den Mann legalisieren müsse. Das Landesarbeitsamt sieht das ebenso und legt Beschwerde gegen den Beschluß ein. Dennoch könnte und müßte ihm das Amt die Arbeitserlaubnis sofort erteilen, sagt sein Rechtsanwalt.
Solche Endlosschleifen, ergänzt Jung, habe er leider schon öfter erlebt. „Vor allem dann, wenn die Ehepartner einen unterschiedlichen aufenthaltsrechtlichen Status haben und in die Sozialhilfe geraten.“ Für einen anderen Anwalt sind diese Fälle ebenfalls „ständige Erfahrung“. Sein Beispiel: Jemand wurde als Lehrer angeworben und beantragt nach fünf Jahren in Berlin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die Ausländerbehörde verweigert sie ihm mit dem Argument, er brauche zuerst eine allgemeine Arbeitserlaubnis. Das Arbeitsamt verweigert diese mit dem Hinweis, er habe nur eine Aufenthaltserlaubnis für eine bestimmte Tätigkeit.
Wie kann man solchen Zwangslagen überhaupt noch entgehen? Den Regierenden Bürgermeister zu verhaften und die Berliner Staatskasse zu plündern, ist heute vermutlich nicht mehr so einfach wie 1906. Ute Scheub
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