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Exemplarische Entschädigung

■ Die Berliner "Gedenkbibliothek", die eigentlich zuständig ist für die Aufarbeitung von deutscher Vergangenheit, hat "Aufarbeitungsprobleme" - sie machte ausgerechnet eine ehemalige KZ-Aufseherin zum...

Die Berliner „Gedenkbibliothek“, die eigentlich zuständig ist für die Aufarbeitung von deutscher Vergangenheit, hat „Aufarbeitungsprobleme“ – sie machte ausgerechnet eine ehemalige KZ-Aufseherin zum Paradeopfer des Stalinismus.

Exemplarische Entschädigung

Als Margot Kunz-Pietzner am 14. August 1991 die „Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus“ betrat, um aus ihren Lebenserinnerungen vorzulesen, konnte sie nicht ahnen, jemals zu einem „Entschädigungsfall“ zu werden. Sie war gekommen, um über ihre „schwierige“ Biographie zu reden. Denn 1944 wurde Margot Pietzner von der SS zur KZ- Aufseherin ausgebildet, und nach dem Krieg saß sie zehn Jahre lang im Internierungslager und im Zuchthaus.

Margot Pietzner behauptet, erst von der nationalsozialistischen, dann von der stalinistischen Diktatur mißbraucht worden zu sein. Während der ersten habe die SS sie „dienstverpflichtet“ und nach einem Ausbildungslehrgang im Konzentrationslager Ravensbrück zur Aufseherin in einem „französischen Fremdarbeiterlager“ gemacht (siehe taz vom 1. Dezember). 1946 habe ein sowjetisches Militärtribunal sie mit dem Vorwurf, an hundert Exekutionen von Gefangenen beteiligt gewesen zu sein, zu fünfundzwanzig Jahren Haft verurteilt. Diese hohe Strafe sei Siegerjustiz gewesen, denn in Wirklichkeit habe sie lediglich ein einziges Mal einer französischen Fremdarbeiterin eine Ohrfeige gegeben. Und in der Tat, in deutschen Archiven haben sich bisher keine Unterlagen für den sowjetischen Vorwurf gefunden.

Dafür aber gibt es Belege, daß das angebliche „Fremdarbeiterlager“ in Wittenberge in Wirklichkeit eine Außenstelle des KZ Ravensbrück war. Ihre eigenen Aktivitäten in diesem Außenlager sind in einer Akte verzeichnet, die vor kurzem in der Gauck-Behörde gefunden wurde.

Zum Skandal, zum „Fall“ wurde die deutsche Biographie von Frau Pietzner erst, nachdem sie sie in der Gedenkbibliothek erzählte. Sie diskutierte nicht die Widersprüchlichkeit ihrer Geschichte und die Trennlinien zwischen Opfern und Tätern. Statt dessen erhob Siegmar Faust — damals Vizepräsident des „Dokumentationszentrums für die Aufklärung von SED-Verbrechen“ und in der Gedenkbibliothek engagiert — Frau Pietzner zum exemplarischen Entschädigungsfall. Damit sie wirklich „Opfer“ des Stalinismus bleibt, mauschelte später gar die „Stiftung politische Häftlinge“ die ehemalige SS-Zugehörigkeit in den Antragsformularen weg (siehe unten).

Und Ursula Popiolek, Vorstandsmitglied und Geschäftsführerin der Bibliothek machte kräftig mit, ohne jemals ihre Kollegen im Vorstand, namentlich die Gedenkbibliotheksgründer Bärbel Bohley und Jürgen Fuchs über diesen heiklen Fall in Kenntnis zu setzen.

Ja mehr noch. Nach erfolgter „Haftentschädigung“ ließen sie sich von Frau Pietzner sogar noch beschenken. Siegmar Faust, der im Mai 1994 Bärbel Bohley im Vorstand der Bibliothek ablöste, nahm 7.000 Mark entgegen und Ursula Popiolek 15.000 Mark, plus 5.000 Mark für ihren Sohn. Beide behaupten heute, daß die empfangenen Gelder keine „Belohnung“ gewesen seien, sondern rein „private Schenkungen“. Ursula Popiolek habe das Geld „nach unzähligen Ablehungen ihrerseits angenommen, da sie nach mehrjährigem persönlichen Kontakt eine private und freundschaftliche Beziehung zu Frau Pietzner verband“, heißt es in einer Faust-Popiolek-Stellungnahme vom 6. Dezember.

Und an die entsetzten Bürgerrechtler Bärbel Bohley und Jürgen Fuchs schrieb Ursula Popiolek am 2. Dezember, daß „sie für eine Unterrichtung der Vorstandsvorsitzenden im Jahre 1991 (...) keine Notwendigkeit gesehen (habe), da ihr Lebensschicksal mit zehn Jahren ungerechtfertigter Haft als Opfer des Stalinismus, wie viele andere Opfer auch gesehen wurde“.

Das sind Rechtfertigungserklärungen, die Jürgen Fuchs nicht akzeptieren kann. Die „Definition des ,Privaten‘ in dieser Angelegenheit“ sei „besonders geeignet, Reste einer Vertrauensgrundlage in Frage zu stellen“, antwortete er. Fuchs will, daß der jetzige Vorstand seine Arbeit ruhen läßt, bis ein „unabhängiges Gremium“ die Vorwürfe klärt und die „politischen, historischen, moralischen Positionen“ bewertet.

Gegenüber der taz betonte Fuchs, daß das Verschweigen dieses Fall seitens Frau Popiolek mit voller politischer Absicht geschah. Denn daß Bärbel Bohley und er ihre Ämter niedergelegt haben, hänge mit der Ausgrenzung von linksdemokratischen und dafür favorisierten rechtskonservativen Positionen zusammen. „Wir wurden völlig isoliert und ich im besten Stasijargon der Zersetzungstätigkeit bezichtigt.“

So habe er in einem Vorstandspapier für die Jahre 1993/1994 vergeblich vor dem „Eindringen von Kaderorganisationen, extremistischen Parteien, Gruppierungen, Sekten und Psychogruppen in wichtige Bereiche des öffentlichen Lebens“ gewarnt. Mit Recht, sagt Fuchs heute, denn es gebe Anzeichen dafür, daß die Kader vom „Verein für psycholgische Menschenführung“ (VPM) die Arbeit in der Gedenkbibliothek „absichert und stabilisiert“. Beispiel: Im Sommer referierte VPM-Sympathisant und Kommunistenfresser Gerhard Loewenthal in der Gedenkbibliothek über Verbrechen der Stalinisten.

Auch Bürgerrechtler Hans Schwenke, Vorsitzende des „Bürgerkomittees 15. Januar“, fragt sich „in welch politische Verirrungen der blanke Linkenhaß“ des Duos Popiolek/Faust noch führen kann. „Der Verdacht der Vorteilsnahme und der Verdrängung aller moralischen Bedenken liegt nahe.“ Er fordert persönliche Konsequenzen. Und auch Wolfgang Templin, seit Oktober 1994 Vorstandsmitglied der Gedenkbibliothek, will, daß Ursula Popiolek und Siegmar Faust ihre Ämter sofort niederlegen. „Ihr Umgang mit dem Gesamtkonflikt ist fahrlässig gewesen“, sagt er. Ihr Verhalten habe die ganze Debatte um das SED-Unrechtsbereinigungsgesetz diskreditiert. Für gestern Abend rief Templin eine Mitgliederversammlung ein, wohlwissend, daß jetzt auch die Gedenkbibliothek ein „Aufarbeitungsproblem“ hat, an dem sie zerbrechen könnte. Anita Kugler

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