: Mehr Staat bei sozialer Hilfe?
■ Programm für förderungsbedürftige Kinder in Kitas soll den Trägern weggenommen werden
Seit zwei Jahren gibt es hinter den Kulissen eine Diskussion um die Ärmsten der Armen: Kinder mit besonderem Förderbedarf. Seit über 10 Jahren gibt es in den Kitas eine besondere heilpädagogische Förderung solcher Kinder, „IHTE“ und „IHP“ heißt das im Bürokratendeutsch. Zuständig sind drei freie Träger: die Hans-Wendt-Stiftung, das Rote Kreuz und St.-Petri. Diesen Trägern soll ihre Arbeit weggenommen werden, die Sozialarbeiter- und Therapeuten-Stellen sollen in den öffentlichen Dienst übernommen werden. Zweimal hat die zuständige Sozial-Deputation sich geweigert, den Bericht der Senatorin auch nur „zur Kenntnis zu nehmen“. Zuletzt weigerten sich die Grünen - „das hätte wie eine Zustimmung ausgesehen“, sagt Maria Spieker. Für gestern war eine Senatsvorlage vorbereitet, das Thema wurde aber vertagt.
Warum will der Staat hier eine soziale Arbeit an sich ziehen? „Wir können es nicht nachvollziehen“, sagt der Geschäftsführer der Hans-Wendt-Stiftung, Hartmut Groß. Er würde immerhin 60 Prozent des Auftragsvolumens der Stiftung verlieren - das Thema geht der Hans-Wendt-Stiftung an den Nerv.
Eine wesentliche inhaltliche Kritik an der Arbeit der freien Träger gibt es nicht. „Weiterentwickeln“ ist das Stichwort in der Begründung des Sozialressorts. „Die Umsteuerung ist nicht das Ergebnis einer Kritik an der Arbeit der freien Träger...“ steht ausdrücklich in einem Ressort-Bericht, das Personal soll deshalb übernommen werden. Die bisherige erfolgreiche Arbeit soll „weiterentwickelt“ werden, aber über eine inhaltliche Weiterentwicklung findet sich kein Wort. Also keine neuen Inhalte, sondern neue Strukturen. Begründung: „Das Amt (für soziale Dienste, d.Red.) ist nicht in der Lage, seine eigenen Angebote ausreichend zu steuern, inhaltlich zu bestimmen und selbständig erbringen zu können.“ Diese Formulierung zeigt, daß da kein Sozialpädagoge mitgedacht hat - es geht allein um bürokratische Verfügung, während sonst überall über den Abbau bürokratischer Verwaltung von gesellschaftlicher Arbeit nachgedacht wird. Während keine der neuen Kitas, die derzeit im Bau oder in Planung sind, von der Behörde betrieben werden soll, weil alle freien Träger als geeigneter angesehen werden, soll ausgerechnet die besondere Förderung im Kita-Bereich verbürokratisiert werden. Wie die Behörde denkt, wird auch an einem anderen Argument deutlich: Verwaltungskosten sollen eingespart werden. Die Personalverwaltung der Behörden erfolgt in der SKP des Finanzressorts - belastet also den Sozial-Haushalt nicht. So einfach läßt sich sparen - auf dem Papier des Sozialressorts.
Die SKP war deshalb alles andere als begeistert, daß hier der öffentliche Dienst um 54 Stellen ausgeweitet werden soll. Das Finanzressort hat offensichtlich zugestimmt unter einer wenig überraschenden Klarstellung: 500.000 Mark und zwei Stellen könnten gespart werden. Dies wiederum scheint im Sozialressort nicht auf Zustimmung gestoßen zu sein.
Die betroffenen MitarbeiterInnen haben schon frühzeitig davor gewarnt, daß das besondere Förderprogramm, kommt es einmal in die Mühlen der öffentlichen Verwaltung, immer wieder Gegenstand von Spar-Beratungen werden würde. Aber es gibt auch inhaltliche Probleme: die Arbeit mit besonders förderbedürftigen Kinder in den Kitas, so schreibt die Fachgruppe der IHTE-Teams, bedeutet auch oft familientherapeutische Arbeit. Das heißt: Gerade wer Kinder vor einer Heim-Karriere bewahren will, muß den Familien so helfen, daß die mit den besonderen Belastungen nicht zurechtkommen. Die IHTE-Arbeit findet also nicht nur in den Kitas statt.
Das soll sich, wenn die „Weiterentwicklung“ zum Zuge kommt, vollkommen ändern: „Die sozialtherapeutischen Zusatzkräfte stehen unter der Dienst- und Fachaufsicht der jeweiligen Heimleitungen. Die erweiterte Fachaufsicht obliegt im Rahmen ihrer Beratungstätigkeit den Beratungsfachkräften des jeweiligen Stadtteils“, angebunden an die „Sachgebietsleitungen Kinder und deren Familien“. Ein Rechtsanspruch auf besondere Förderung in den Kitas, so die Ressort-Antwort auf Fragen der Jugenddeputation, besteht nicht.
In diesem Kontext muß der letzte Satz in dem vertagten Senatsbeschluß verstanden werden: Das Sozialressort solle bitte darlegen, ob es solche Förderung in anderen Städten auch gibt. Diese Formel ist in aller Regel die Einleitung der nächsten Kürzungsrunde.
K.W.
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