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Liebe auf den letzten Blick

Wie PCA-Weltmeister Kasparow und FIDE-Boss Campomanes bei der Moskauer Olympiade die große Versöhnung der Schachwelt inszenieren  ■ Von Stefan Löffler

Verbrecher, Diktator, Lügner hat er ihn genannt. Doch nun soll alles vergeben sein? Garri Kasparows Versöhnung mit Florencio Campomanes, dem ungeliebten Präsidenten des Weltschachbundes FIDE, hat etwas Inszeniertes. Seit zehn Jahren pendelt das Verhältnis zwischen den beiden mächtigsten Männern der Schachwelt zwischen offener Feindschaft und gegenseitiger Bewunderung. Vor wenigen Monaten glaubte kaum jemand, daß diese unwahrscheinliche Männerfreundschaft noch eine Chance bekäme. Campomanes (67) sollte nach zwölfjähriger Amtszeit seinen Sessel räumen, gebrochen von einem ungewinnbaren Krieg seiner FIDE gegen die im März 1993 von Kasparow gegründete Professional Chess Association (PCA). Doch mittlerweile ist es kein anderer als der Chef und Champion der PCA, der den alternden FIDE-Boss im Amt halten will und dabei auch noch tatkräftigst unterstützt.

Kasparow persönlich rettete die vor einer Absage stehende Schacholympiade, die größte und teuerste Veranstaltung der FIDE, indem er sie nach Moskau delegierte, wo nun bis Donnerstag ein neuer Vorstand gewählt werden soll. Ob sich Campomanes von den Delegierten um eine Kandidatur in letzter Minute bitten oder die Wahlen einfach um zwei Jahre verschieben läßt, wird man erst wissen, wenn er am heutigen Nachmittag die FIDE-Vollversammlung im Hotel „Kosmos“ mit seiner Tagesordnung eröffnet haben wird. Alles hängt davon ab, wie viele der Delegierten der Filipino hinter sich weiß, denn offiziell hat er seine Absicht, im Amt zu bleiben, bis heute nicht bekräftigt.

In früheren Wahljahren pflegte Campomanes Schachuhren, Spielsets und Flugtickets zu den Wahlorten an wohlgesonnene Schachverbände zu versenden. Dieses Mal hat er etwas anderes anzubieten: Frieden mit Garri Kasparow; ein Frieden, dessen Vermarktung die leeren FIDE-Kassen wieder füllen soll.

Wer Campomanes und Kasparow für unwiderruflich verfeindet hielt, muß nun erkennen, wie ähnlich sie sich – ungeachtet der 36 Jahre Altersunterschied – sind. Beide passen ihre Rhetorik immer den Umständen an, beide messen den Erfolg ihrer Verbände an der Höhe der Preisgelder, und beider Hauptaugenmerk gilt einem Ehrenplatz in der Schachgeschichte.

Am 15. Februar 1985 begann das Drama einer unwahrscheinlichen Männerfreundschaft, ebenfalls in Moskau. Nach 48 Partien war Kasparows erster WM-Kampf gegen Anatoli Karpow noch nicht entschieden, aber nach zwei unmittelbar vorausgehenden Siegen glaubte sich der junge Herausforderer auf dem Weg zur Weltmeisterschaft gegen den körperlich angeschlagenen Rivalen, als Campomanes das Match als unentschieden abbrach, Karpow nicht nur den Titel ließ, sondern im Falle einer Niederlage im Wiederholungsmatch auch noch einen Revanchekampf einräumte. Kasparow sprach vom „Tag der Schande“ und schwor der FIDE und ihrem Boss Rache.

Nach „Campos“ erster Wiederwahl 1986 gründete Kasparow die Grand Masters Association. Aber kaum vier Jahre später kehrte er der Spielervereinigung den Rücken, weil seine Profikollegen einen Vertrag mit der FIDE aushandelten. Wenige Monate danach traf er Campomanes während eines Schachseminars der Madrider Sommeruniversität. In seinem Referat sagte Kasparow, daß er seine geldwerte Bekanntheit im Westen jenem „Tag der Schande“ verdanke und versöhnte sich mit dem Mann, der den WM-Abbruch 1985 immer wieder „die beste Entscheidung meines Lebens“ nannte.

Seit dieser Kehrtwende mieden die Profikollegen den Mann aus Moskau, bis sich einer seiner größten Kritiker im Februar 1993 mit ihm verbündete. Der Engländer Nigel Short ärgerte sich über den Preisfonds, zu dem Campomanes sein WM-Match gegen Kasparow nach Manchester vergab. Der Titelverteidiger hatte die Entscheidung zwar bereits akzeptiert, ließ sich aber von Short und dem Londoner Großmeister Ray Keene überreden, das Duell zu einem höheren Preis auf eigene Faust zu verkaufen: Die PCA war gegründet. Doch war sie zunächst nicht mehr als eine Verhandlungsposition für Kasparow. Mehrmals traf er sich in London heimlich mit Campomanes, um einen Kompromiß mit der FIDE auszuhandeln, der allerdings nie zustande kam.

Es folgten zwei konkurrierende Titelkämpfe, zwei neue WM-Zyklen und ein Propagandakrieg um Preisgelder und Weltranglisten. Aber inoffiziell blieben Kasparow und „Campo“ in Kontakt, wie ein PCA-Insider vor wenigen Tagen sagte. Lange vor den anstehenden FIDE-Wahlen suchte der PCA- Vormann einen Verbündeten. Zunächst sollte dies Georgios Makropoulos sein, doch als seine Vorbereitungen der Schacholympiade in Thessaloniki platzten, sanken die Chancen des Griechen, als „Campos“ Nachfolger gewählt zu werden.

Kasparow empfing kurzerhand den FIDE-Chef selbst und überredete den 67jährigen, bis zu einem Match zwischen den Champions beider Verbände im Frühjahr 1996 weiterzumachen. Campomanes hinterließe eine vereinte Schachwelt, Kasparow winkt neben der Friedensrente des Versöhnungsduells die offizielle Anerkennung als Weltmeister der Jahre der Spaltung. Das haben die beiden nun in einer „Erklärung der Zusammenarbeit zwischen FIDE und PCA“ der Presse vorgelegt.

Zum letzten Akt von Moskau läßt das Gespann alle Kontakte spielen. „Kasparomanes“ empfing IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch, der erklärte, wie sehr ihm die Versöhnung im Schachsport am Herzen liege und flugs eine Beteiligung an Olympia in Atlanta versprach, wenn auch bestenfalls im kulturellen Rahmenprogramm. Jede Menge Gespräche mit FIDE-Delegierten und russischen Politikern halten „Kasparomanes“ auf Trab, dessen jüngerer Teil nebenbei auch noch Gold für Rußland gewinnen muß. Doch anders als auf dem politischen Parkett macht Kasparow am russischen Spitzenbrett wenig Eindruck. Nach sechs Partien hat der Vielbeschäftigte gerade mal drei Punkte beigesteuert.

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