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„Frustriert und unglücklich“

■ Kinkels Wechselbäder auf dem Parteitag

Gera (dpa/taz) – Kinkel bleibt, doch erneuern wollen sich die Freien Demokraten schon. Auf ihrem Parteitag in Gera sprachen die Delegierten gestern ihrem Vorsitzenden das Vertrauen aus, nachdem sie ihn zuvor offen ausgelacht und mit unverblümten Vorwürfen fast schon zum Rücktritt gezwungen hatten. In geheimer Abstimmung votierten 390 Delegierte (rund 65 Prozent) für und 185 gegen Kinkel. 24 Delegierte enthielten sich. Zum Nachfolger des zurückgetretenen Generalsekretärs Werner Hoyer wurde mit fast 82 Prozent der 32jährige Bonner Rechtsanwalt Guido Westerwelle gewählt. Die nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Ruth Witteler-Koch wurde gegen den rheinland-pfälzischen Landesvorsitzenden Brüderle zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.

Kinkel hatte nach den heftigen Angriffen vom Sonntag sowohl den Parteivorsitz als auch das Amt des Außenministers niederlegen wollen. Auf Drängen der Parteispitze entschied er sich dann aber für die Vertrauensfrage, nachdem auch Bundeskanzler Helmut Kohl ihn telefonisch zum Durchhalten ermutigt hatte. Über den Ausgang der Vertrauensfrage war Kinkel offenbar so erfreut, daß er umgehend ankündigte, jetzt wolle er auch auf dem nächsten regulären Parteitag im Juni 1995 wieder für den Vorsitz kandidieren. Kinkel, der von einer Vielzahl Delegierter für die desolate Lage der Partei verantwortlich gemacht worden war, äußerte Verständnis dafür, daß die Liberalen „verletzt, frustriert und unglücklich“ seien. Das Ergebnis der Vertrauensabstimmung sei „ehrlich und auch für mich akzeptabel“.

Der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Ralph Lange, einer der heftigsten Kritiker Kinkels, erklärte nach der Abstimmung, der Parteichef und die Fraktion im Bundestag wüßten nun, „daß ein Umfallen bei wichtigen Themen nicht mehr geduldet wird“. Walter Döring, Fraktionschef der FDP im Stuttgarter Landtag, nannte Kinkel einen „Vorsitzenden auf Abruf“. Demgegenüber glaubt Otto Graf Lambsdorff, daß Kinkel die Partei „wieder nach oben bringen“ könne.

Westerwelle präsentierte in seiner Antrittsrede die FDP als Partei der Leistungsbereiten, nicht der Besserverdienenden. Als bloße Mehrheitsbeschafferin werde die Partei von innen austrocknen. Sie müsse jetzt „die Konsequenzen als erneuerte Freiheits-, Fortschritts- und Toleranzpartei“ ziehen. Seiten 2 und 3

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