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Verhübschungsstrategien

■ Bemalter Beton wird nicht schöner, dafür aber bunter. Stadtdesigner Friedrich Ernst von Garnier versucht, architektonische Zumutungen erträglicher zu machen

„Schade, daß Beton nicht brennt“, bedauerten einst Graffiti auf Banken und Stadtautobahn- Stützmauern. „Es kommt darauf an, was man daraus macht“, konterte die Baubranche. Aus dem idyllischen Hof Iben nahe Bad Kreuznach propagiert ein „Studio für Farbgestaltung“ einen dritten Weg: Beton – es kommt darauf an, wie man ihn bemalt.

Gründer Friedrich Ernst von Garnier, einst Absolvent der Wiesbadener Werkkunstschule, hat sich architektonischer Underdogs und städtebaulicher Schmuddelkinder angenommen: Lärmschutzwände und Müllverbrennungsanlagen, U-Bahnstationen und Kraftwerke, Autobahnbrücken und Trabantensiedlungen.

Vor 25 Jahren hat der heute 59jährige die Marktlücke zwischen Architektur, Design und Malerhandwerk entdeckt und mittlerweile als absoluter Marktführer erfolgreich besetzt. Der auf den Hund gekommene Funktionalismus liefert ihm mit technoiden Bau-Agglomeraten laufend neue Einsatzfelder. Zum Beispiel das Heizkraftwerk Frankfurt: ein Zweckbau ohne ersichtlichen Gestaltungswillen, massig-unproportioniert gebaut. Mit energetischen Kreismotiven und zahlreichen Farbabstufungen rückte das Farbstudio dem Betonkoloß, publicityträchtig in Sichtweite des Frankfurter Kreuzes gelegen, 1986 zu Leibe. Lob kam von der Belegschaft der benachbarten Maschinen- und Anlagenfabrik. Das häßliche Heizkraftwerk sei zu einem „liebenswerten Blickfang“ geworden, schrieb sie in einem Dankesbrief an die Stadtwerke.

Solche Euphorie lassen beileibe nicht alle Entwürfe zu. In Marburg, der Universitätsstadt mit Fachwerkambiente, haben ehrgeizige Planer eine Stadtautobahn durch das schmale Lahntal geschlagen. Ihr Höhepunkt ist eine 430 Meter lange und 25 Meter breite Betonbrücke. Schon wenige Jahre nach der Fertigstellung war dieses Paradestück automobiler Großmannssucht sanierungsbedürftig. Die Leiter des zuständigen hessischen Straßenbauamtes, noch heute einsame Befürworter des Brückenbauwerks, ergriffen die Chance, im Zuge der Drei-Millionen-Mark- Sanierung „die Akzeptanz durch eine farbige Gestaltung zu erhöhen“. Farbstudio Garnier machte sich mit Pinsel, Lappen, Schwamm und Walze an die Arbeit und entwarf Verschal-Motive und Farbverwehungen in Altrosa-, Ocker- und lichten Blautönen.

Die Dankbarkeit hielt sich trotz des relativ aufwendigen Entwurfs in Grenzen: Heimische Kunstszene, Kulturamtsleiter und Verkehrsberuhigungsinitiativen sprachen von „Kaschierungsmalerei“, „Verhübschung“ und „Alibi-Garnierung“. Da mochte der Schöpfer beim Pressetermin in donnerndem Straßen- und Baustellenlärm noch so sehr von der „schönsten Unterführung der Welt“ schwärmen. Zehn Tonnen Dispersionsfarbe auf 16.00 Quadratmeter Betonfläche – für Entwurf und Realisierung gingen eine Million Mark an das Farbstudio. Auch das erhöhte die Sympathie bei der knapp gehaltenen örtlichen Kulturszene und Automobilismus-Kritikern nicht.

Vor 15 Jahren noch kam es auf Hof Iben unter den 30 Studio-Mitarbeitern zu einer Abstimmung, ob man einen Atomkraftwerk- Auftrag annehmen solle. Einstimmiges Votum: nein. Heute würde das „AKW nee“ nicht mehr so unisono gelten. „Warum sollen die umliegenden Bewohner neben den möglichen ökologischen Gefährdungen noch ein zweites Mal mit der Düsternis der Gebäude bestraft werden?“ Es lebe das kleinere Übel.

Nicht allein dieser Radikal- Pragmatismus hat die Manager von Firmen, Straßenbauämtern und regionalen Zweckverbänden zu ihm gelockt. Garniers Erfolgsgeheimnis läßt sich auch nicht nur mit seinen farbpsychologisch kalkulierten und anthroposophisch

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bis konstruktivistisch inspirierten Entwürfen erklären. Die geheime Attraktion ist der Prozeß von Schuld und Sühne durch die gute Tat, den Garnier so gut inszeniert wie seine Farbentwürfe. In aufwendig gestalteten Vierfarbbroschüren und unzähligen Vorträgen geißelt der Stadtdesigner wortgewaltig „düstere Industrielandschaften“, „Vergrauung und Farblärm“ und den „Horror brutaler Banalbauten“. Aber der „Colour Composer“ („Who is who“ international) redet den Verantwortlichen nicht nur ins Gewissen. Er weist ihnen auch den Pfad des Lichts: In „meine farbige Welt“. Ein Farben-Missionar.

In Zeitschriften wie Deutsches Malerblatt, Fassade, Renovation oder dem Sächsischen Baumarkt wird der Realo-Rebell verehrt. Die Anerkennung in Feuilletons, Hochschulen, in der Kunst- und Architekturszene ist ihm dagegen weitgehend versagt geblieben. Kunsthistoriker Heinrich Klotz, Gründer des Frankfurter Architekturmuseums, winkt ab. Verschönerung schlechter Architektur durch Farbe – kein Thema. Baukunst-Kritiker Ulrich Conrads mokierte sich in Daidalos über Garniers „Harmonisierungseifer“.

Die Aversion in Architekturkreisen fußt zum Teil auf fragwürdigen Argumenten: Gute Architektur bedürfe keiner Farbe, lautet ein oft bemühtes Dogma des Klassizismus. Das wurde allerdings durch mehr als 2.000 Jahre Baugeschichte, griechische Tempel und mittelalterliche Kirchen widerlegt. Und daß Farbe Architekturstrukturen zukleistere, bedeutet für einen Hochregallager-Quader, den Stararchitekten wie Ungers, Stirling, Moore oder Grassi selten bis gar nicht entwerfen, doch zuviel der Ehre.

Garniers Unbeliebtheit gründet eher in der Unbekümmertheit, mit der der Autodidakt ohne TU- oder FH-Diplom nicht die wenigen Lichtgestalten, sondern das wuchernde Schattenreich zeitgenössischen Bauens zum Objekt farbfürsorglichen Eifers macht. Die Architekturtheorie wird mit dem unerfreulichen Status quo der Branche sowie ihrer eigenen Ohnmacht konfrontiert. Welche Kränkung: Stadtbildprägende Bauten sind in schwindendem Maße das Werk ambitionierter Architekten, immer häufiger entwerfen Bauingenieure und Techniker unter Kostendruck am Reißbrett. Auch bei der öffentlichen Hand sinkt der planerische und gestalterische Ehrgeiz in Zeiten knapper Kassen und West-Ost-Transfers. Im Osten der Republik ist mit farbästhetischem Rigorismus auch nicht mehr zu lösen. Friedrich Ernst von Garnier hat nachgerechnet: „135.000 ästhetische Zeitbomben“ ticken allein in den düster-kaputten Plattenbauten des ehemaligen DDR- Wohnungsbaus – das sind „280 Quadratkilometer oder gut 50.000 Fußballfelder Wandfläche, die zur Sanierung anstehen.“ Und zum Neuanstrich. Abriß? Unrealistisch.

Sollen vielgeschossige Mammutwohnanlagen mit bis zu 32 Hauseingängen ohne Baulücke nach der Energiesanierung wieder großflächig graubeigen oder ochsenblutroten DDR-Charme ausstrahlen? Im Zuge des anlaufenden Sanierungsprogramms ist man in den neuen Bundesländern zwangsläufig auf Garnier gestoßen. Der hatte dem Treiben der „Kriegsgewinnler und brutalen Buntmaler“ aus dem Westen zunächst aus der Distanz zugeschaut. „Das lief doch nach dem Motto: Ihr habt 40 Jahre keine Farbe gehabt – wir geben sie euch!“

Der gebürtige Breslauer kam, sah „die leisere Seele der Ossis“ und siegte auf seine Weise. Von Stralsund bis Dresden lauschten ihm die Chefs der Wohnungsbaugesellschaften, wenn er von „kleinteilig zu inszenierenden Farbstimmungen“, Ende der Gängelung, von Wärme, Leichtigkeit und Kinderseelen sprach.

Doch gleich die ersten Plattenbausiedlungen in sanften Garnierschen Farbabstufungen erzeugten unerwarteten Protest: Harry Roscher, seit 30 Jahren Farbgestalter im Dresdner Stadtplanungsamt, erhob Einspruch gegen die projektierte Farbgestaltung der zehnstöckigen Bauten Typ IW 67 der Wohnungsbaugesellschaft „Glückauf Süd“ im Dresdner Stadtteil Prohlis. „Die Farbe raubt den Prohliser Häusern ihre Seele, macht aus unseren zweckmäßigen Betonbauten Kasperlehäuser“, diktierte der 62jährige der Bild- Zeitung. Typ IW 67 und Seele? Da schüttelten selbst die Bewohner den Kopf, die das Garniersche Schaffen aus Angst vor weiterer Mietsteigerung mit großer Skepsis registriert hatten. Bei dem engen Kostenrahmen sind die Farbentwürfe ohnehin sehr viel weniger aufwendig. Und rein rechtlich ist bei einer Sanierung eine Genehmigung der Farbgebung gar nicht nötig. So wurde der Widerstand alter Kader zum PR-Effekt. Selbst für den berühmt-berüchtigten Wohnkomplex in Hoyerswerda orderte man Garniersche Farbentwürfe.

Glaubt der Designer selber an die beschworenen psychosozialen Effekte seiner „farbklimatischen“ Erheiterungen? Fragen Sie einen Missionar, der sich kokett „Stadtstreicher“ nennt, ob er an seine Religion glaubt. Solche Unbedingtheit ist das notwendige Pendant zur leidenschaftslosen Belanglosigkeit der ihm anvertrauten Objekte. Richard Laufner

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