■ Daumenkino: Mario und der Zauberer
Eigentlich ist alles ganz schrecklich. Charismatischer Zampano, Verführer und Hypnotiseur Klaus-Maria Brandauer in „Mario und der Zauberer“ wirkt wie ein in die Jahre gekommener Bhagwan-Jünger auf der Suche nach dem letzten Ashram. Wenn er als Hypnotiseur Cipolla mit dem „Stein der Demaskierung“ rumfuchtelt oder schönen Frauen wirren Haares die Zukunft weissagt! „Leidenschaftlich vermählen sich Wasser und Luft“, sagt Klaus-Maria und blickt versonnen aufs Meer von Torre di Venere. „Wer gelebt hat für die Liebe, der starb auch für die Liebe“, säuselt Elisabeth Trissenar im Gedenken an Gloria Tosca. Mit elegischem Blick beginnt Trissi in der Rolle der abgehalfterten Operndiva Angolieri sogar ausgiebig zu singen. Ein italienischer Statist, vermutlich mehrfach bestochen, behauptet infam: „Ihr Gesang ist perfekt.“ Vital und sinnlich prangt Italien in dieser „Frei nach Thomas Mann“-Verfilmung, da rennen Kellner fröhlich um die Wette, ringeln sich Badeanzüge, runden sich Mädchenpopos. Wie jedes Jahr will der deutsche Schriftsteller samt Gattin und altklugen Kindern („Papa ist ein furchtbarer Zyniker“) die Ferien im angestammten Grand Hotel verbringen. Dort tanzt eine internationale Gemeinschaft in lauen Sommernächten Charleston, und alles ist noch wahrhaft multikulturell, denn einmal huscht ein Schwarzafrikaner durchs Bild und sagt: „Memsakabetschame“. Doch „Ärger, Gereiztheit, Überspannung lagen von Anfang an in der Luft“, sagt die Novelle. Plötzlich ist Italien ganz kleinbürgerlich-kleinkariert, sind die besten Tische für „nostri clienti“ reserviert, wird der Fisch des Schriftstellers viel zu lange gebraten, seine Tochter am Strand als „ekelhafte, nackte, schmutzige Ausländerin“ beschimpft. Chauvinismus und Faschismus dräuen am Horizont. Tatsächlich dräut hier aber nur noch Klaus-Maria, der alte Sannyasin, in einer Schlußszene, die eine ganze halbe Stunde dauert und das Werk für die langweiligste Kamera aller Zeiten qualifiziert. Auf einer grob zusammengenagelten Varietébühne darf Mephisto-Hanussen Cipolla noch mal braundauern, was das Zeug hält, und das Volk mit beschwörerischen Blicken, Zauberkunststücken und Hypnose endgültig in den Bann schlagen. Und da Brandauer allen Hokuspokus so einfallslos ungebrochen abfilmt, ist im dämonisch flackernden Kerzenschein nicht mehr zu unterscheiden zwischen seinem eigenen Schmierentheater und dem Bösen, vor dem das Werk uns warnen will. Daß er das Ende der Novelle umdreht, nicht den großen Verführer, sondern den kleinen Verführten sterben läßt, sollte übrigens keinesfalls anders interpretiert werden als: Klaus-Maria forever. Katja Nicodemus
„Mario und der Zauberer“. Regie: K.-M. Brandauer, BRD 1994, 127 Minuten.
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