piwik no script img

Still auf der Wiese gestanden?

Manch mächtige Frau scheint nicht zu wissen, wie sie nach oben gekommen ist. Zweifeln die Frauen an sich oder am Wert der Macht?  ■ Von Sonja Schock

Macht scheinen Frauen eher zufällig zu erlangen. Zumindest sind viele mächtige Frauen ganz offensichtlich bemüht, diesen Eindruck zu erwecken. „Ich stand immer in der Landschaft rum, oder die Partei guckte immer gerade in die Richtung, in der ich stand, wenn sie dringend eine Frau suchte“, äußerte Heide Simonis noch vor ihrer Ernennung zur schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin. Eine Interpretation, die stutzig macht angesichts der Stationen, die Simonis im Laufe ihrer Politikerinnenkarriere durchlaufen, der Qualifikationen, die sie angesammelt hat. 1969 in die SPD eingetreten, wurde sie 1971 Ratsfrau in Kiel, ein Jahr später Mitglied im Kreisparteivorstand. 1976 zog sie per Direktmandat in den Bundestag ein, wo die diplomierte Volkswirtin bald zur finanzpolitischen Sprecherin der SPD avancierte und gut elf Jahre im Haushaltsausschuß saß. 1988 schließlich holte Björn Engholm sie als Finanzministerin nach Schleswig-Holstein, wo sie 1993 seine Nachfolge antrat. Daß die hochqualifizierte und durchaus zielstrebige Politikerin von sich selbst den Eindruck vermittelt, als habe sie still auf der grünen Wiese gestanden und gewartet, bis die Partei sie pflückt, ist erstaunlich, aber keineswegs ein Einzelfall. Eine ähnliche Selbsteinschätzung bieten auch viele andere erfolgreiche Politikerinnen, quer durch alle Fraktionen. Cathrin Kahlweit, die für ihr aufschlußreiches Buch „Damenwahl“ Gespräche mit rund zwei Dutzend von ihnen geführt hat, kommt denn auch zu dem Ergebnis: „Die Liste der Frauen, die das ,Prinzip Zufall‘ bei ihrem Weg zum Erfolg für sich in Anspruch nehmen, ist endlos.“ Diese behauptete Abwesenheit jeglicher gezielter Karriereplanung beschränkt sich keineswegs auf die Politik. Rosalind Coward, die rund hundert britische Frauen interviewt hat, überwiegend Angehörige der Mittelklasse und überdurchschnittlich qualifiziert, kommt zum selben Resultat: „Die meisten Frauen in gesicherten Positionen, die ich interviewte, bezeichneten sich als ,Karrierefrauen aus Zufall‘.“

Zum einen ist eine derartige Selbstpräsentation sicherlich Teil einer nervenschonenden Überlebensstrategie. Denn je höher die Etage, desto zahlreicher die Feinde. „Wenn Frauen an die Macht kommen, sind die sozialen Konsequenzen andere als bei Männern“, hat Hedwig Rudolph, geschäftsführende Direktorin des Wissenschaftszentrums Berlin, festgestellt. Während ein Mann gemeinsam mit der Macht soziale Gewinne wie Anerkennung, Unterstützer und sexuelle Attraktivität gewinne, schlage dies bei mächtigen Frauen schnell ins Gegenteil um. Am härtesten trifft es in der Regel die, die leichtsinnig genug sind, auch noch zuzugeben, daß sie Macht wollen. Die Bonner Politik bietet da einige anschauliche Beispiele. Herta Däubler-Gmelin zum Beispiel oder Irmgard Schwaetzer. Der schlimmste Beschuß kam für beide häufig aus den eigenen Reihen, wobei mancher Journalist gerne Schützenhilfe leistete. Häßlich seien sie, überehrgeizig, zickig, kratzbürstig, eigentlich gar keine richtigen Frauen mehr. „Wir Frauen dürfen nichts wollen“, faßt denn auch Irmgard Schwaetzer ihre gesammelten Erfahrungen zusammen.

Zum anderen planen Frauen ihre Karriere möglicherweise tatsächlich nicht so gezielt wie Männer. Rosalind Coward zumindest ist zu dem Ergebnis gelangt, daß für viele Frauen „Karriere im Grunde gar nicht so wichtig für die eigene Identität“ ist. In ihrem Buch „Unsere trügerischen Herzen“ versucht sie, unter anderem dem Phänomen auf die Spur zu kommen, warum sich beruflich erfolgreiche Frauen von ihrer Karriere verabschieden, um sich fortan mit Windeln und Bilderbüchern zu beschäftigen. Als ein wichtiges Motiv stellte sie ein grundsätzlich gespaltenes Verhältnis zur Berufswelt fest. Vor allem in den höheren Etagen haderten viele der befragten Frauen mit dem permanenten Konkurrenzdruck und begannen, sich die Sinnfrage zu stellen. Vor diesem Hintergrund bekommt Renate Schmidts Äußerung, daß Frauen „den größten Blödsinn“ machen, „ihre Kinder genau dann zu kriegen, wenn es drauf ankommt“, eine andere Bedeutung. Es scheint, folgt man Cowards Argumentation, daß manch eine Frau gerade deshalb Kinder bekommt, weil es drauf ankommt. Eine ihrer Gesprächspartnerinnen bringt dies unumwunden zum Ausdruck: „Und als ich dann schwanger war, dachte ich mir: Na, jetzt ist Schluß. Ich will nicht mehr mit anderen konkurrieren.“

In Cowards Augen ein Trugschluß. Denn gerade ehemals erfolgreiche Frauen geben zwar vielleicht ihren Beruf auf, nicht aber ihren Ehrgeiz im Kreißsaal ab. Er wird statt dessen häufig übertragen: auf die Kinder, die musikalischer, sportlicher, intelligenter, kreativer als alle anderen sein sollen, und häufig auch auf den Gatten, dem das Karrierestreben sowieso als geschlechtstypische Eigenschaft zugeschrieben wird. Naturgemäß ist ein solches Glück nicht immer von Dauer. So manche der befragten Mütter befielen dann doch Zweifel, ob es ihre Bestimmung sein könne „dauernd auf Händen und Knien umherzukriechen, ganz hingegeben an die Spielphantasien eines Vierjährigen“, zumal sie bald feststellten, daß ihre Männer ihnen die Betreuung des Nachwuchses ganz und gar überließen.

Statt mit Revolte und der Artikulation eigener Grenzen und Bedürfnisse reagierten die befragten Frauen mit Schuldgefühlen. Schuldgefühle, weil sie Knetmasse auf Dauer eben nicht spannend fanden, Schuldgefühle, weil sie vor dem häuslichen Einerlei zurück in die Berufstätigkeit geflohen waren, Schuldgefühle, weil sie die vielfältigsten Rollenanforderungen nicht mit derselben Leichtigkeit zu bewältigen vermochten wie all die omnipatenten Vorzeigefrauen, die seit Ende der achtziger Jahre penetrant von den Bildschirmen und aus den Gazetten lächeln.

So wie sie schon in der Arbeitswelt davor zurückgeschreckt waren, deren tradierte Werte und harrschen Umgangsformen grundsätzlich in Frage zu stellen, eigene Vorstellungen und Konzepte auch gegen den Widerstand der Männer durchzusetzen und auf frauen- und mutterverträgliche Arbeitsweisen und Arbeitszeiten zu beharren, scheuten die meisten auch zu Hause den offenen Konflikt mit dem Mann. Statt nach grundsätzlichen Lösungen suchten sie, jede für sich, nach individuellen Notausgängen.

Vor dem Hintergrund dieses Dilemmas ist der Ruf nach Vernetzung, die derzeit häufig als die letzte Wunderdroge im Kampf gegen das männliche Machtmonopol gehandelt wird, nur allzu verständlich. Grundlage einer wirkungsvollen Vernetzung wäre jedoch erst einmal eine grundlegende Revision des eigenen Verhältnisses zur Macht. Daß Frauen, die es nach oben geschafft haben – und auf diesem Weg beinahe zwangsläufig die gängigen Spielregeln des Machterwerbs gelernt haben –, nicht selten vor allem von ihren Geschlechtsgenossinnen angefeindet werden, ist ebensowenig neu wie die Erfahrung, daß Frauen, die erfolgreich den harten Weg gegangen sind, nicht immer sonderlich ambitioniert sind, Nachrückerinnen den Weg zu ebnen. Sinnvoll ist aber gerade eine Verknüpfung über mehrere Hierarchiestufen. Anderenfalls können die edlen Machtlosen bestenfalls ihre Ohnmacht vernetzen und die machtvollen Führungsfrauen weiterhin ihre Einsamkeit an der Spitze genießen. Sinnvoll ist auch eine Vernetzung, die nicht nur nach dem Sympathieprinzip funktioniert, sondern, ebenso wie die „old boys networks“, ganz pragmatisch darauf abzielt, die eigenen Machtbereiche auszuweiten. Voraussetzung dafür wäre, daß mehr Frauen Macht nicht bloß als zufälliges Nebenprodukt ihrer inhaltlichen Arbeit betrachten und nach außen darstellen, sondern ganz bewußt als Grundlage, die eigenen Spielräume zu erweitern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen