: Die Schlesier haben's besser
Im polnischen Schlesien ist die doppelte Staatsbürgerschaft keine Frage mehr: Das deutsche Generalkonsulat verteilt deutsche Pässe. ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Weder Polen noch Deutschland erkennen offiziell doppelte Staatsbürgerschaften an. Trotzdem gibt es unter ihren Bürgern jede Menge Besitzer mehrerer Reisepässe. Diese paradoxe Lage ist die Folge einer Rechtspraxis, die sich aus der Doktrin ergibt, derzufolge jeder, der in den Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 geboren ist, einen Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft hat.
In der Praxis sieht das dann so aus: Andrzej Kowalski, dessen Vater in Oberschlesien vor dem Krieg geboren wurde, begibt sich in das Generalkonsulat der Bundesrepublik in Breslau und beantragt die Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit. Er beantragt nicht, eingebürgert zu werden, denn nach obiger Doktrin hat er nie aufgehört, Deutscher zu sein. Er beantragt nur, daß selbiges festgestellt wird. Gibt es hiermit keine Probleme, beantragt er einen Paß und bekommt ihn. Fortan kann er, obwohl gleichzeitig auch polnischer Staatsbürger, jederzeit legal in der Bundesrepublik ohne Arbeitsgenehmigung und Aufenthaltserlaubnis arbeiten. Für die deutschen Behörden ist er Deutscher, für die polnischen Pole. Solange er einigermaßen geschickt mit seinen beiden Pässen hantiert, kann ihm nichts passieren. Ja, er hat sogar jede Menge Vorteile: In Polen kann er Land und Immobilien erwerben, was Ausländern dort sonst nur mit einer Genehmigung des Innenministeriums möglich ist, in Deutschland kann er arbeiten.
Bonn und Warschau sehen das offiziell nicht gern und tolerieren es dennoch unterderhand. Polnische und deutsche Politiker argumentieren, doppelte Staatsbürgerschaft bedeute auch doppelte Loyalität. Anders ausgedrückt: Auf die Besitzer zweier Pässe könne sich im Grunde keines der beiden Länder wirklich verlassen. Aus Schlesien, argumentieren die dortigen Behörden, stammten 40 Prozent aller polnischen Deserteure. Junge Schlesier holen, wenn ihr Jahrgang zum Militär eingezogen wird, ihren deutschen Paß aus der Schublade und verabschieden sich in Richtung Deutschland. Ob sie dann allerdings in der Bundeswehr dienen, wie manche polnischen Zeitungen behaupteten, ist eher zweifelhaft, denn von deutschen Kreiswehrersatzämtern sind sie nicht erfaßt, weil sie bisher keinen festen Wohnsitz in Deutschland hatten. Außerdem stellt es kein größeres Problem dar, dem Kreiswehrersatzamt weiterhin vorzugaukeln, man lebe in Polen, womit sich das Problem von selbst erledigt. Schwieriger wird es, wenn ein Schlesier mit polnischem Paß tatsächlich zur Bundeswehr geht – dann droht ihm in Polen eine Freiheitsstrafe als Söldner.
Wird ein Schlesier mit zwei Pässen in Deutschland festgenommen, hat er im Grunde ebensowenig ein Recht nach seinem Konsul zu verlangen, wie umgekehrt in Polen, denn für die Behörden gilt er jeweils nur und ausschließlich als Inländer. Trotzdem, so hört man unter vorgehaltener Hand, würden die Vertretungen des jeweils anderen Landes in solchen Fällen verständigt. Eine Gesetzesänderung, die polnischen Abgeordneten den Besitz einer weiteren Staatsbürgerschaft verbietet, war einmal geplant, wurde aber nie vom Parlament in Warschau verabschiedet.
Und auch im jüngsten, heftig debattierten Gesetz über Staatsgeheimnisse fand sich zwar ein Passus, der Doppelstaatsbürgern den Zugang zu Staatsgeheimnissen verbauen sollte – doch das Gesetz scheiterte im Senat. Für Polens Außenminister hätte seine Verabschiedung bedeutet, sich von einigen Diplomaten im Ausland trennen zu müssen. Wie ernst man es an der Weichsel mit der von Außenminister Skubiszewski stets hochgehaltenen Doktrin der einen Staatsbürgerschaft hält, zeigt die Tatsache, daß 1992 mit dem polnischstämmigen Briten Radek Sikorski ein Doppelstaatsbürger stellvertretender Verteidigungsminister wurde. Und schließlich wurde die Forderung nach Einführung der Doppelstaatsbürgerschaft für die polnische Minderheit in Litauen Anfang der neunziger Jahre nicht nur von zahlreichen rechtsgerichteten Parteien, sondern Litauen gegenüber auch vom Außenministerium in Warschau erhoben.
Auch auf deutscher Seite scheint man es mit dem Postulat der einen Staatsbürgerschaft nicht so genau zu nehmen. Seit 1991 gibt das Generalkonsulat deutsche Pässe an Schlesier aus, ohne daß dies ein Geheimnis wäre und wohl wissend, daß es sich bei den Schlesiern nicht um Staatenlose handelt. Ein Nachweis, die ursprüngliche Staatsbürgerschaft aufgegeben zu haben wird dabei nicht verlangt. Auch die Begründung, die Schlesier seien – anders als die Türken in Deutschland – ja nicht freiwillig nach Polen und zur polnischen Staatsbürgerschaft gekommen, gilt inzwischen nur noch zum Teil: Unter den Empfängern deutscher Pässe waren auch Menschen mit ausgesprochen nationalpolnischem Hintergrund. Die Frage, wie jemand zu seiner polnischen Staatsbürgerschaft kam, spielte bei der Vergabe des deutschen Paßes bisher nie eine Rolle. Erst in letzter Zeit ist der Nachweis erforderlich, für das Bekenntnis zum Deutschtum Nachteile erlitten zu haben.
Selbst CSU-Abgeordnete auf Schlesientour – wie etwa der ehemalige Sekretär des Bundes der Vertriebenen, Hartmut Koschik – hatten nie etwas gegen „doppelte Staatsbürger“ in Schlesien einzuwenden. Die Deutschen in Schlesien brauchten diese als Rückversicherung für schlechtere Zeiten, so stellten sie gemeinsam mit den Aktivisten der Minderheit fest. Davon abgesehen gelten Schlesier, die ihren Paß nehmen und über die Grenze nach Deutschland ziehen, nicht zu Unrecht als CSU- Stammwähler. Bei der letzten Bundestagswahl wurden im Generalkonsulat in Breslau insgesamt 1.500 Stimmen abgegeben, weit mehr als deutsche Geschäftsreisende, Touristen und Konsulatsangestellte zusammenbringen würden.
Doch es waren auch weitaus weniger, als polnische Medien zuvor befürchtet hatten. Immerhin sollen in Schlesien nach Schätzungen verschiedener Behörden zwischen 50.000 und einer halben Million Doppelstaatsbürger leben.
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