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Weihnachtskollekte für Kriegsflüchtlinge

■ Bielefelds rot-grünes Rathaus macht den Aufenthalt bosnischer Flüchtlinge von privaten Spendengeldern abhängig

„Hilfe für kroatische Bosnier“ – das ist das Motto einer städtischen Aktion, zu der neben den örtlichen Kirchen auch die Bielefelder Oberbürgermeisterin Angelika Dopheide (SPD) aufruft.

Auch die Bündnisgrünen, die seit der Kommunalwahl vom 16. Oktober mit der SPD im Rathaus das Sagen haben, beteiligen sich an dem Aufruf. Um den weiteren Aufenthalt von 77 bosnischen Kriegsflüchtlingen „bis Juni 1995 finanziell sicherzustellen“, werden „Bürger, die sich für den weiteren Verbleib der Flüchtlinge einsetzen möchten“, um Überweisungen an die Stadtkasse gebeten, heißt es in dem Aufruf. Wer bereit sei, „einem Flüchtling“ Unterkunft und Versorgung zu gewähren, könne sich an das Amt für soziale Dienste wenden.

Die BosnierInnen, deren Abschiebung unmittelbar bevorstand, weil Mitarbeiter der Ausländerbehörde herausgefunden hatten, daß sie sowohl bosnische als auch kroatische Pässe besitzen, erhalten jedoch nicht einmal eine vorläufige Duldung. Ihre Abschiebung wurde bis zum 15. Januar nur ausgesetzt. Falls bis dahin nicht ein Betrag von 180.000 Mark an Spenden eingegangen ist, droht ihnen endgültig die Ausweisung.

Der Bielefelder Flüchtlingsrat kritisiert den Aufruf: Die von Finanzsorgen geplagte Kommune wälze ihre gesetzliche Verpflichtung, hilfsbedürftige Kriegsflüchtlinge unterzubringen und zu versorgen, auf BürgerInnen ab, die sich für deren Aufenthaltsrecht einsetzen. Die Zielvorgabe von 180.000 Mark sei exakt die Hälfte der Summe, die die Stadt innerhalb eines halben Jahres für die Sozialhilfe der bedrohten Flüchtlinge aufbringen müßte.

Der verantwortliche Dezernent Jürgen Heinrich rechtfertigt den Spendenaufruf. Trotz des gesetzlich verbrieften Abschiebeschutzes für Kriegsflüchtlinge gebe es für deren Finanzierung weder aus Bonn noch aus der Landeshauptstadt Düsseldorf einen finanziellen Ausgleich. Doch der Beigeordnete Heinrich spielt mit falschen Zahlen.

Ab dem 1. Januar erstattet das Land Nordrhein-Westfalen den Kommunen monatlich 360 Mark für Kriegsflüchtlinge. Die Ausgleichszahlungen, für Bielefeld immerhin rund drei Millionen Mark, hat der Stadtkämmerer im Haushaltsentwurf 1995 längst als Einnahme verbucht. Die Grünen unterdessen bezeichnen den Spendenaufruf, das Ergebnis eines von ihnen initiierten Runden Tisches, als „Teilerfolg“ und weisen die Kritik des Flüchtlingsrates als „unverantwortlich“ zurück. „Die Alternative wäre die Abschiebung“, sagt der grüne Ratsherr Klaus Rees.

Seit Oktober verweigert das örtliche Ausländeramt bosnischen Kriegsflüchtlingen, die mit kroatischen Pässen ohne Visum nach Deutschland einreisen, die „Duldung“. Weil Kroatien sich im „Rückübernahmevertrag“ verpflichtet habe, auch „kroatische Staatsbürger mit bosnischem Paß“ aufzunehmen, sei die Stadt nicht verpflichtet, dieser Gruppe weiterhin Zuflucht zu gewähren, lautet die Begründung des verantwortlichen Verwaltungschefs. Insgesamt ermittelten seine Mitarbeiter fast 300 BosnierInnen mit der doppelten Staatsbürgerschaft. Seine Informationen bezieht das Amt via Datenabgleich vom kroatischen Konsulat.

Nach massiven Protesten, vor allem aus Kirchenkreisen, sah sich die Verwaltung vor zwei Wochen zunächst zu einem Rückzieher gezwungen. Bosnische Kriegsflüchtlinge, die bereits eine „Duldung“ haben, weil sie vor Oktober nach Bielefeld kamen, wurde ein Aufschub bis Ende März gewährt. Danach ist deren Schicksal allerdings genauso ungewiß wie das derjenigen, die jetzt vom Erfolg der städtischen Weihnachtskollekte abhängen. In Bielefeld scheinen Gesetze nur dann eingehalten zu werden, wenn die Haushaltskasse es zuläßt. Martin Rapp

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