: 'Da sitzen doch überallSozis' drin“
■ Die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Christine Bernbacher: Die Politik könnte sehr wohl was tun! / „Asbest – die geleimten Opfer“ (8)
Die Betroffenen sprechen von einer Gutachtermafia, die Gewerbeärzte wirken auch recht machtlos – was können denn PolitikerInnen tun, um mehr Asbestopfern zu einer Entschädigung zu verhelfen?
Christine Bernbacher, Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen/Bündnis 90: Wir als Politiker können Druck von außen ausüben und die zuständigen SenatorInnen zu Gesprächen mit der Berufsgenossenschaft auffordern, also die Arbeitssenatorin Uhl und die Gesundheitsenatorin Gaertner. Frau Gaertner ist auch sehr interessiert, sagt aber, federführend sei das Arbeitsressort.
Solche Gespräche forderten Sie schon im Mai bei der Bürgerschaftsdebatte zum Thema Asbestopfer – was ist seitdem passiert?
Nichts! Ich warte seit Mai, obwohl ich in der Deputation Gesundheit immer wieder dazu aufgefordert habe. Jetzt will die Deputation Sabine Uhl ultimativ auffordern, einen Termin mit Berufsgenossenschaften, mit Gewerkschaften, Politikern und Betroffenen zu machen.
Nun hat ja nicht Frau Uhl die Rechtsaufsicht über die Berufsgenossenschaften, sondern das Bundesversicherungsamt. Könnte die Politik also mehr tun als den moralischen Zeigefinger zu schwingen?
Frau Uhl kann sich natürlich auch an das Bundesversicherungsamt wenden und verlangen, daß zum Beispiel die Bearbeitung der Akten schneller passiert, damit diese Menschen nicht immer erst drei Monate vor ihrem Tod eine Rente bekommen – wenn sie überhaupt eine bekommen.
Außerdem müßte sie die Stellung ihrer Landesgewerbeärzte stärken, die müssen viel mehr in die Öffentlichkeit treten, wenn so etwas ist. Es ist doch auch eine Aufgabe des Landesgwerbearztes, dafür zu sorgen, daß unabhängige Gutachter in Aktion treten. Das geht doch nicht, daß das immer Gefälligkeitsgutachter sind, die eben noch weitere Aufträge von der Berufsgenossenschaft haben wollen! Die Berufsgenossenschaften setzen doch alle Mittel in Bewegung, um möglichst nicht entschädigungspflichtig zu werden – alles im Interesse ihrer Auftraggeber, und das sind eben die Arbeitgeber.
Nun sitzen aber auch Arbeitnehmer in den Gremien der Berufsgenossenschaften und beim Sozialgericht...
Ja, da halte ich aber nicht sehr viel von. Mir erzählte einer aus der Asbestose-Gruppe, daß ein Klöckner-Betriebsratsmitglied als Beisitzer beim Sozialgericht war, als es um so einen Entschädigungsfall ging: Und der hat den Mund nicht aufgemacht! Ich weiß nicht, in welchen Abhängigkeiten die sind!
Die Senatorin ist doch Sozialdemokratin, und in den Berufsgenossenschaften sitzen auch lauter Sozialdemokraten. Das müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn da die Senatorin nicht Einfluß nehmen könnte!
Herr Hadré, Chef der Norddeutschen Metallberufsgenossenschaft, sagt ja: „Bernbacher hat keine Ahnung.“ Glauben Sie eigentlich all die manchmal wirklich aberwitzigen Erzählungen der Asbestkranken darüber, wie sie behandelt werden?
Ich will den Berichten von Asbesterkrankten und ihren Hinterbliebenen hartnäckig nachgehen, ob es wirklich stimmt, daß immer wieder Unterlagen, Röntgenbilder, Befunde verloren gehen. Das Ganze ist doch mehr als dubios!
Gespräche wollen Sie zwischen Politik und Berufsgenossenschaften – schön und gut. Reicht das aus?
Berufsgenossenschaften, Gewerkschaften, Politiker... alle hören doch nur auf politischen Druck von außen, wenn die Bürger wachsam sind und sich wehren und die Politiker das dann aufnehmen und zur allgemeinen Diskussion stellen. Und dann müssen von uns natürlich Gesetzesinitiativen kommen – zum Beispiel, daß die Berufsgenossenschaften noch einer anderen Kontrolle unterworfen werden.
Also einer fachkundigeren als nur der der Arbeitnehmervertreter, die sich den Gutachtern ja völlig ausgeliefert fühlen...
Alles steht und fällt doch mit den Gutachtern. Viele Gutachter verdienen sich da eine goldene Nase, aber tragisch wird es, wenn es um Leben oder Tod geht. Wenn da Gutachter nicht ihrem Gewissen verpflichtet sind und ihrem ärztlichen Eid, sondern da hingucken, wo sie Aufträge herkriegen, dann finde ich das im höchsten Maße skandalös. Das ist ein bundesweiter medizinischer Skandal! Fragen: cis
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