: Ohne Kommentar
■ Unvermittelt und überschaubar: Zum 70. Geburtstag des amerikanischen Fotografen Robert Frank ist im Scalo Verlag "Black White and Things" erschienen.
Die Augen des amerikanischen Fotografen Robert Frank sind bei Regenwetter am klarsten: Dunkel und düster, ungreifbar, so nehmen sie einzelne Gestalten in Prozessionen, hinter Paraden wahr; die Banker im Londoner Geschäftsviertel, schnellen Schritts legen sie ihre Wege zurück, winzig vor den Sockeln ihrer Paläste, hell aufblitzend allein die gefaltete Tageszeitung und der weiße Hemdkragen. Oder Straßenjungen in Valencia, auf ungepflastertem Weg, dahinter die großen Bögen der Straßenlaternen, ein verlaufender Hintergrund in der Dämmerung vor einer Fassadenflucht – diese halbwüchsigen Jungen, unscharf in Restlicht festgehalten, so abgerissen und schmutzig, barfuß und in Unterhemden, sind „Straßenjungen“ schlechthin, und es ist, als wären sie einem noch nie so unvermittelt, so „archetypisch“ vor Augen getreten.
Unter der Bezeichnung „Profil“ erblickt man eine Gesichtslinie, die geradewegs aus einem fernen Zeitalter, der Ära Casanovas, entnommen scheint, fotografiert in Venedig, hochdekadent. Dann wieder reihen sich auf einem anderen Foto zwei wartende Frauen hintereinander, deren skeptische Blicke sich fast zu verdoppeln scheinen, obwohl sie doch nur zufällig für einen Moment harmonieren. Die Fotografie hebt alle Zeit von ihren Gesichtern fort.
Aber das Bild mißt auch den Raum: Geradliniges und Geschwungenes verschmilzt in jenem Rolls-Royce, hinter dem der Chauffeur Stellung bezogen hat wie ein Kirchendiener am Allerheiligsten. Und die staubige Straße in Peru, die auf den Horizont zuläuft unter einer tiefen Wolkendecke, führt zu einem Riß aus Licht, der das Foto quer durchteilt, zu einem Streifen horizontalen Lichts, das wie ein Scharnier
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Himmel und Erde zu verbinden scheint.
Die Bilder sind eine Art erste Etüde Robert Franks: ein schmaler, unprätentiöser Band mit ganzseitigen Fotos, die zwischen 1948 und 1952 auf drei verschiedenen Kontinenten entstanden sind, zwischen New York, Valencia und Venedig. Ein lakonisches Motto stellt Frank seinem Buch mit dem Titel „Black White and Things“ voran: Er sei auf der Suche gewesen nach „düsteren Leuten und dunklen Ereignissen, stillen Menschen und friedlichen Plätzen und nach Dingen, mit denen die Leute in Berührung gekommen sind“. Das ist es: Schwarz – Weiß – und Dinge, eine dreigeteilte Studie in 34 Bildern; Robert Franks erstes Fotobuch, das er in drei Exemplaren hergestellt hatte – quadratisch, spiralgebunden, mit den gleichen Originalfotos. Eines hatte der Künstler dem Museum of Modern Art in New York übereignet, ein anderes seinen Eltern. Das dritte, sein eigenes, übergab er vor kurzem der Washingtoner National Gallery of Art, deren Werkschau seiner Arbeiten im Mai 1995 in Franks Geburtsort Zürich zu sehen sein wird.
Als junger Mann war Robert Frank 1947 nach New York ausgewandert. Schon bald wurde er von der renommierten Zeitschrift Harpers Bazar engagiert. „Black White and Things“, Franks frühe Fotostudien, bilden einen beredten Gegenentwurf zur geläufigen Praxis, Bildlegenden und Erklärungstexte auf Fotos anzuwenden, die sich doch durchweg selbst erklären. Jeder Kommentar unterliefe ihr künstlerisches Niveau. „Tree and Chair“ – „Horse and Cart“ – „Dead Horse“ – „Horse and Children“ – Frank reduziert in seinen Legenden auf das Minimum, ohne eine Orientierung zu geben: „Parade“ – „Procession“ – ein „Chauffeur“ in London, eine „Beerdigung“ in Paris, ein „Landschaft“ in Peru sind Bildunterschriften aus der bildenden Kunst.
„Schwarz Weiß und Dinge“ entspricht als Einteilung der gebündelten Form dessen, was Frank an Ausdrucksmitteln benutzt. Es ist nicht allein die Überschaubarkeit einer Bildfolge, die dem Betrachter intensive Beziehungen zwischen den Bildern vermittelt, es ist auch der eigene Blick auf gleiche Motive in unterschiedlichem Kontext: die Blume, die ein aufs Rendezvous Wartender hinter seinem Rücken verbirgt, und ein paar Bilder weiter: die große Kunsttulpe, die ein Schläfer in den Gängen der Pariser Metro in der Hand hängen hat. Am Schluß steht eine Studie über die Art, wie Menschen mit Dingen in Berührung kommen. Je länger man die Fotos betrachtet, desto stärker festigt sich der Eindruck, Robert Frank habe mit seinen Bildern nicht nur einen Zugang zu all diesen diffusen Beziehungen gefunden. Der Band ist auch ein Beleg für die Wechselwirkung des einzelnen künstlerischen Fotos mit allen anderen. Jörg Becker
Rober Frank: „Black White and Things“. Scalo Verlag Zürich/Berlin/New York, 72 Seiten, 34 S/W- Abb., 26*28 cm, 38 DM.
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