■ Der BGH bereinigt Mannheimer Justizskandal: Hauptsache, das Urteil ist weg
Was wäre wohl gewesen, wenn weder die engagierte Staatsanwaltschaft noch die profilneurotische Verteidigung von Günter Deckert gegen das Mannheimer Skandalurteil Revision eingelegt hätten? „Ein Jahr auf Bewährung“ hatte die 6. Strafkammer im Juni gegen den NPD-Vorsitzenden verhängt. Der Urteilsspruch nach der mündlichen Verhandlung entsprach in etwa dem, was die Öffentlichkeit erwartete. Der große Aufschrei kam erst Wochen später, als die schriftliche Urteilsbegründung bekannt wurde, las sich diese doch wie die Entschuldigung an einen etwas ungestümen Gesinnungsgenossen, den man leider hatte verurteilen müssen. Das „Skandalurteil“ wäre dann aber – so das Denkspiel – längst rechtskräftig gewesen. Nicht nur, daß eine ausschließlich gegen die Urteilsbegründung gerichtete Revision ein juristisches Kuriosum dargestellt hätte, die vierwöchige Revisionsfrist wäre schlichtweg abgelaufen gewesen. Kein BGH hätte das Urteil mehr kassieren können. Deutschland hätte mit dem Urteil leben müssen.
Es hätte damit leben müssen, daß es in Deutschland stockkonservative Richter gibt, die sich nicht entblöden, ihre gar nicht so klammheimliche Sympathie mit einem unbelehrbaren Neonazi sogar noch in der Urteilsbegründung breitzutreten. Daß man sich über alle Parteigrenzen hinweg darüber empörte, ist gut und hat vielleicht manchen Denkprozeß ausgelöst. Ein Problem des Staates und der Demokratie wäre jedoch erst dann gegeben, wenn derartige Urteile an der Tagesordnung wären, wenn wir eine rechte Einheitsjustiz hätten wie in der Weimarer Republik. Mit der Polizei, die durchaus zu Sorgen Anlaß gibt, muß sich die Justiz derzeit wirklich nicht in einen Topf werfen lassen. Im Gegenteil: Die Justiz ist derzeit so pluralistisch wie vielleicht noch nie in der deutschen Geschichte.
Daß hierzu auch rechte Hardliner gehören, fällt vielen jedoch schwer zu akzeptieren. Typisch deutsch ruft man nach staatlichen Maßnahmen gegen diese Richter. Nicht nur das Urteil muß weg, auch die Richter sind fällig. Heute sind es Länder wie Dänemark, mit wohl doch etwas höherem Potential an Zivilität als die Bundesrepublik, die sich dafür rechtfertigen müssen, nicht engagiert genug gegen Meinungsdelikte von Nazis vorzugehen. Mit der Figur der „geistigen Brandstiftung“ hat man dabei eine diskursive Allzweckwaffe zur Verfügung, die sich gegen jede als unmoralisch empfundene Position wenden läßt. Gegen widerlich-antisemitische Geschichtsbilder ebenso wie gegen die Asyl-Hetze der Großparteien oder das Einwanderungsgesetz der Grünen. Natürlich entscheiden letztlich nicht die Antifa-Gruppen, was als Volksverhetzung bestraft wird und was nicht, aber mitdiskutieren und Anzeigen schreiben tun doch alle gerne. Auch der BGH hat jetzt klargestellt, daß Meinungsdelikte kein Strafrecht zweiter Klasse darstellen. Als ob man das in Deutschland betonen müßte.
Berufsverbote wegen Tätigkeit in einer von der Obrigkeit als verfassungsfeindlich eingestuften Partei hat der BGH gleich noch zur strafverschärfenden Quasi-Vorstrafe aufgewertet. Wieder ein Sieg für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Aber das sind Feinheiten. Hauptsache, das Urteil ist weg.
In der Sache hat der BGH das Skandalurteil nicht anders kommentiert als die taz und andere demokratische Zeitschriften. Aber jetzt sprach eben der BGH. Wir brauchen ihn. Christian Rath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen