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Die Quellen der Indianer

Ein Kurort mit Hippie-Touch: Orr Hot Springs  ■ Von Christine Schoefer

In einer Bergschlucht der California Coastal Range, zwischen Mendocino und Ukiah, liegt Orr Hot Springs, ein Kurort im „California Style“. Ich lehne in einem gekachelten Bad und lausche, wie das warme Wasser plätschert und gluckst. Sternengefunkel über mir. Die flatternden Fledermäuse spüre ich mehr als ich sie sehe. Frösche quaken, Grillen zirpen. Zwei Mitbadende steigen in die überdachte Wanne mit dem heißen Wasser um: zufriedene Seufzer. Eine Dusche braust kurz, nackte Füße patschen die Steintreppen zum warmen Becken hoch. Eine Frau steckt ihre Zehen ins Wasser, gleitet hinein und atmet tief durch. Ich schließe die Augen.

Was das schwefel- und eisenhaltige Wasser genau bewirkt, können mir weder die Angestellten noch die Badenden sagen. „Es belebt mich“, meint der weißhaarige Makler aus dem Nachbarort. Man glaubt es ihm. „Dieses Wasser ist für alles gut“, erklärt mir der Mann an der Rezeption. Und der freundliche Besitzer von Orr Hot Springs beruft sich auf die Pomo-Indianer, die früher in diesen Bergen ansässig waren. Schon sie wußten, daß die Schwefelquellen Wunden heilten und Schmerzen linderten. Für die Pomos hatte das Wasser aber auch eine spirituelle Bedeutung. Die Quellen galten als beseelt. Dem Badenden, so glaubten sie, teilt sich ein höheres Wissen mit. Oft badeten dort verfeindete Stämme gleichzeitig. Ein Ort des Friedens. Wer sich den Quellen näherte, legte alle Waffen nieder.

Samuel Orr aus Kentucky war der erste Weiße, der sich in den Hügeln nordwestlich von Ukiah niederließ. 1860 kaufte er Land – die hot springs sollten seine Goldquelle werden. Aus den heiligen Quellen machte er einen Kurort im europäischen Stil. Das erste Hotel wurde 1875 eröffnet. Fotos aus dieser Zeit zeigen sommerliche Betriebsamkeit. Um die Jahrhundertwende gab es mehrere große Brände. Samuel Orr baute den Ort wieder neu auf. Das Badehaus mit den langen Porzellanwannen ist noch aus dieser Zeit erhalten.

In den dreißiger Jahren geriet Orr Hot Springs in Vergessenheit. Eine Gruppe unternehmungslustiger Hippies hat den verwahrlosten Kurort in den siebziger Jahren gekauft und dort ein Happening und Love-in nach dem anderen inszeniert. Heute gehört auch diese „wilde Zeit“ zur Geschichte des Orts. Seit etwa zehn Jahren ist Orr Hot Springs wieder ein Kurort. Allerdings ohne kommerziellen Kurbetrieb. Es gibt weder Restaurants noch Geschäfte, alles, was man dort verzehren will, muß man mitbringen und in der gut ausgestatteten Küche selbst zubereiten. Niemand reicht weiße Handtücher oder mißt die Wassertemperatur oder ermahnt, sich an die vorgeschriebenen Badezeiten zu halten.

Stammgäste nennen das große hölzerne Eingangstor „die Tür zum Paradies“. Dahinter: Obst und Nadelbäume, üppige Blumenpracht, gepflegte Rasen. Kleine Wege führen zu einfachen Holzhütten, die zur Übernachtung bereitstehen. Jede der sechzehn „cabins“ ist anders, manche Besucher bestehen auf der kreisrunden Jurte, andere hören gerne den Bach unter der „Creekcabin“ plätschern, wiederum andere ziehen die älteren Häuschen vor, die etwas abseits neben dem kalten großen Pool stehen. In der großen Blockhütte hinter dem Eingangstor ist die Rezeption, die geräumige Gemeinschaftsküche und ein Aufenthaltsraum. Bis zu achtzig Leute können sich hier gleichzeitig aufhalten. Nie wirkt es voll.

Obwohl ganz unterschiedliche Leute hierherkommen, hat die Atmosphäre etwas aus der Hippiezeit behalten. „Anziehen ist hier freigestellt“, steht auf einem Schild am Eingang. Ungewöhnlich im prüden Amerika. Wenn sie sich nicht in den Bädern aalen, liegen oder sitzen die Gäste auf den Wiesen, sinnend, lesend oder redend. Ein Pärchen übt T'ai Chi, ein Mann macht Yoga. Im warmen Becken sitzt ein weißhaariges Pärchen mit identischen Blumentätowierungen auf der Schulter. „Statt Ehering“, erklärt mir die Frau. Daneben ein Student, der sein Buch auch im Wasser nicht weglegen will. Gegenüber zwei Riesenkerle, einer stützt seinen verbundenen Arm auf den Beckenrand. Er stürzte mit seiner Harley und meint, daß die Quellen jetzt genau das richtige sind. Bunte Tätowierungen, Ringe und Edelsteinchen an geheimsten Körperstellen – sonst kriegt man das nicht zu sehen. Manche Leute liegen stundenlang in den Privatwannen im Badehaus. Andere stürzen sich von der Sauna in den kalten großen Pool, dessen Wasser sich anfühlt wie Seide. Manche reden – von Chakrahs und Grundstückspreisen, von Makrobiotik und Grundwasserverseuchung. Und oft ist es ganz still, jede/r hängt eigenen Gedanken nach. Friede.

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