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Short Stories from AmericaUnd mit all den netten Aposteln

■ Noch pünktlich vor Weihnachten: Eine Runde stille Einkehr und allgemeine Danksagung für ein ereignisreiches Jahr

Amerika hat sein Erntedankfest ja schon hinter sich. Ich persönlich habe es mir zur Regel gemacht, meine Danksagungen zumindest immer noch vor Weihnachten loszuwerden. Denn es gibt nichts Schlimmeres als Dankschulden. Und in diesem Jahr verdient so vieles Dank. Ich könnte ein ganzes Dankgebet aufsagen – im Geiste des vorgeschlagenen Verfassungszusatzes, wonach an öffentlichen Schulen täglich eine Minute stiller Einkehr obligatorisch werden soll.

Ich beginne diesen Tag, o HErr, mit einem Wort des Dankes, daß Du unseren Präsidenten die Weisheit des Schulgebets erkennen ließest, oder ihm doch wenigstens soviel Weisheit verliehst, die Rechten rechts zu überholen, nachdem sie bei den letzten Wahlen so herrlich gewonnen haben. Dieser heilige Zusatz zur Verfassung, o HErr, erlegt den kleinen Heidenkindern die Segnungen des täglichen Gebetes auf, und ich danke Dir, daß die öffentlichen Schulen seitdem ihren Kindern wenigstens etwas zu bieten haben. Es soll ja Lehrer geben, die in ihren Klassen immer dann „stille Einkehr“ anordnen, wenn Fragen gestellt werden. Das lehrt uns, daß die Rechten recht haben: wenn die kleinen Schulkinder schon einmal stille sind, dann sollen sie an Dich denken, o HErr. Hauptsache, sie denken.

Ich danke Dir an diesem Tag, o HErr, für den „Vertrag mit Amerika“, den Deine republikanischen Diener im Kongreß für das neue Jahr planen. Ich danke Dir für Deine Wachsamkeit, mit der Du die illegalen Fremden niederschlägst, so wie Du einst Moabiter und Kanaaniter und Philister niedergeschlagen hast. In Kalifornien haben sie Gesetze erlassen, nach denen illegal eingereiste Fremde keine Ausbildung und medizinische Versorgung mehr erhalten dürfen. Aber nicht nur die illegalen Fremden. Der „Vertrag“ schlägt auch die legalen Fremden nieder, so daß Deine Fülle sozialer Leistungen Deinem eigenen Volke vorbehalten bleibt, den Bürgern, damit diese Ausländer nicht länger Deinen Tempel des Etats entweihen können. Wir haben gehört, daß da welche sagen, legale Ausländer zahlten Steuern und dienten in der US- Armee, und deshalb solle man sie auch wählen lassen. Und andere sollen gar sagen, die Verjagung der legalen Fremden aus dem Tempel spare nur ein Prozent des Etats für medizinische Hilfe ein, zwei Prozent des Fürsorgeetats und drei Prozent des Etats für kostenlose Mahlzeiten. Aber das Wort des HErrn lautet: Legale Fremde wählen nicht, und wenn sie keine Vertreter wählen können, die für ihre sozialen Leistungen streiten, dann kriegen sie eben auch keine. Und das Füllhorn der sozialen Leistungen soll sich nur auf Dein Volk ergießen.

O ja, wir werden Deinen Tempel des Etats gutheißen. Mit starker Hand und ausgestrecktem Arm werden wir ihn im Gleichgewicht halten und von Deinem Tempel die Schande der nationalen Schulden tilgen, die auf Billionen Dollar angewachsen sind, seit Dein letzter Diener, Dein Knecht Ronald Reagan, gelobte, den Etat ins Gleichgewicht zu bringen. Wir werden den Tempel von der Hilfe für die Armen, die Witwen und Waisen reinigen, um 12 Prozent. Reinigen werden wir den Tempel auch von den Shekels für die Gesundheitsversorgung, um 20 Prozent; von den Shekels für den öffentlichen Transport um 29 Prozent; von den Shekels für die Landwirtschaft um 72 Prozent; vom Umweltschutz um 44 Prozent; von Energiesubventionen um 65 Prozent und von der Ausbildung am Arbeitsplatz um die Hälfte. So wie Jesus die Tische der Geldwechsler umwarf, ja, so werden wir die Firmensteuern über den Haufen werfen und Deinen Tempel reinigen. Und die Armee des HErrn dabei um keinen Mann schwächen.

Ich danke dem Herrn für Candace Gingrich, die Schwester von Newt Gingrich, dem republikanischen Führer des Repräsentantenhauses der Nation. Ich danke dem HErrn, daß Candace anderen Frauen beiwohnte und sie erkannte. Denn Newt hat zwar gesagt: „Wir wollen uns eindeutig für die heterosexuelle Ehe aussprechen“, aber dann zeigte er doch Mitleid für seine Verwandtschaft und sprach also: „Ich will keine Polizei in dem Haus sehen, in dem ich aufgewachsen bin.“ Nein, das wäre doch ein bißchen zuviel des Guten.

Und der HErr sei mit euch, und mit all den netten Aposteln. Und mit euch im Geiste. Amen. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning

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