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Josef – eine Nebenrolle

Die Bibel ist arm an positiven Vaterbildern / Eine bisher stark vernachlässigte Ausnahme finden wir in der Heiligen Familie  ■ Von Elisabeth Stiefel

Er fehlt in keiner Krippe. Aber neben Ochsen, Eseln und den Weisen aus dem Morgenland spielt Josef, Ehemann der Jungfrau Maria und Mitglied der Heiligen Familie, in der alljährlichen Weihnachtsshow nur eine Nebenrolle. Spätestens nach dem Dreikönigstag verschwindet der Vaterstellvertreter spurlos aus dem Blickfeld.

Dies ist in einer männerdominierten Welt nur schwer begreiflich. Auch die Evangelien bleiben die Erklärung schuldig, warum Marias Mann weder für Kirchenväter noch für die Familienlobby jemals erwähnenswert erschien. Schließlich ist es Josef zu verdanken, daß die außerordentliche Schwangerschaft Mutter und Kind nicht in die Katastrophe geführt hat. Hätte Josef Maria verstoßen, man hätte mit Fingern auf die Frau gezeigt, sie vielleicht mitsamt dem Ungeborenen gesteinigt. Zumindest aber hätte man sie aus der Gemeinschaft ausgestoßen, und auch das Kind wäre mit einem lebenslangen Makel herumgelaufen. Denn in der jüdischen Gesellschaft war es nicht denkbar, daß der Sohn einer Mutter, die nicht Witwe war, keinen Vater hat.

Ein lückenloser Stammbaum verband Josef mit David, dem König der Juden, bis hin zu Abraham, dem Gründervater. Nicht nur im Alten, auch im Neuen Testament war der Nachweis der Väterkette ein Muß für jeden Mann, der etwas auf sich hielt. Josef war das 41. Glied nach Abraham, und der Evangelist beginnt die Heilsgeschichte mit der Dokumentation der langen Reihe männlicher Vorfahren (Matth. 1, 1-17). Für Josef war der exklusive Stammbaum nicht nur Auszeichnung, sondern auch Verpflichtung. Um das Geschlecht Davids in Zukunft zu verlängern, erwartete man vom 41. Stammesglied einen Sohn. Statt dessen übernahm er Vaterpflichten für ein Kind, von dem er wußte, daß es nicht seines war. Ohne Aufhebens macht der Evangelist die Beispiellosigkeit dieses Verhaltens klar, indem er der akribischen Aufzählung von söhnezeugenden Vätern den schlichten Satz anfügt: „Jakob zeugte Josef, den Mann Marias, von welcher geboren ist Jesus“ (Matth. 1, 20).

Über Marias Ahnen schweigt sich das Evangelium aus. Mutterschaft ist anschaulich und unmißverständlich, während das ungewisse Band zwischen Vätern und Söhnen zu allen Zeiten institutionell abgesichert werden mußte. Das Alte Testament liest sich in weiten Teilen wie der Bericht über den Kampf um eigenständige männliche Beteiligung an der Lebensmacht der Mütter. Es ist durchzogen vom beharrlichen Nachweis der Wiedergeburt von Männern in ihren erstgeborenen Söhnen. Bis in die Evangelien hinein wurde versucht, die Alleinzuständigkeit der Frau für die Wiederkehr des Lebens in Frage zu stellen und die Verfügungsgewalt der Väter zu sichern. Auch Gott als Übervater begehrte Zugriff auf männliche Erstgeborene. Sie sollten ihm geheiligt und sogar geopfert werden. Er tötete sie eigenhändig, wenn es der Errichtung, Bestätigung, Befestigung seiner Herrschaft dienlich war ( zum Beispiel 2. Moses 13, 12-15). Sehr früh hat der göttliche Vater erkennen lassen, daß der Vaterstatus mit dem Wohl der Kinder nicht unbedingt etwas zu tun haben muß.

Auch seinen eigenen Sohn hat der alttestamentarische Übervater geopfert. Dieser seinerseits hat ebenfalls dazu beigetragen, die Lebensmacht der Mütter in Frage zu stellen. Mit der Möglichkeit der Wiederkehr ohne irdische Geburt, für die er selbst ein Beispiel gab, wies Jesus seinen Geschlechtsgenossen den Weg zum ewigen Leben, obwohl sie nicht gebären konnten.

Es wäre leicht, das gescheiterte Experiment der patriarchalischen Familie auf das Fehlen eines konstruktiven Vaterbildes in der Tradition des Christentums zurückzuführen. Wäre da nicht Josef. Indem er dem Stamm Davids ein fremdes Kind unterjubelte, das noch nicht einmal Söhne zeugte, zerstörte er die biblische Väterkette und führte ein neues Verständnis von Vaterschaft ein. Grund genug, die Heilige Famile endlich ernst zu nehmen.

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