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Der Penis ist der Renner

Ein Berliner Erotik-Museum, geplant für 1995, will „Auseinandersetzung“ bieten / Zur Eröffnung gab's Schokoladen-Genitalia und diverse Rügen wegen sexuellen Mißbrauchs  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Berlin muß wieder sexy werden. Darüber sind sich alle mehr oder weniger einig: Pornoshops, die alle paar Wochen irgendwelche Pornoqueens zu Signierstunden bitten, Unternehmerinnen und Stadtmagazinautorinnen, die mit peinlich- forschen Sexartikeln irgendwelche Marktlücken füllen wollen, das Tacheles, das senatsunterstützt sehr erfolgreich Hurenkunst präsentierte usw. Man ist unverklemmt; sich zu prostituieren ist dufte, und „Jennifer“ sagt: „Der Job hat mich geiler gemacht.“ Schade nur, „daß käuflicher Sex für Frauen noch keine Selbstverständlichkeit ist“ (zitty).

Dem Trend zur Tabulosigkeit fühlt sich auch Gaby Barton verpflichtet, die in den ku'dammnahen Räumen der Unternehmensberatung Bested Hensing für ein Berliner Erotikmuseum wirbt, das ab Mitte 1995 in den Hackeschen Höfen „eine Lücke im Berliner Kulturleben schließen soll“.

Das Ziel ist, potentiellen TeilhaberInnen die Gelegenheit zu bieten, sich mit zehntausend resp. fünftausend Mark an „der Gaby Barton KG, als Betreiberin des ersten Berliner Erotik-Kunstmuseums, zu beteiligen“. „Interessante Steuer und Renditevorteile“ winken; für die von ihm erstellten günstigen Prognosen verbürgt sich Herr Hensing mit „dem guten Ruf“ seiner Unternehmensberatung.

Gutgekleidete Damen und Herren; Freundinnen der Erotik und ein paar fotografierende Medienzombies drängten sich bei der Eröffnungsveranstaltung in den von erotischen Leihgaben vollgestellten Altbauräumen, die einen Vorgeschmack auf das E-Museum geben sollten.

Der Trend, den ein Kollege ausgemacht zu haben meinte – daß also „pralle Penisse“ (Grusel) inzwischen politisch korrekt seien, während „tropfende Mösen“ (Grusel) gemeinerweise tabuisiert würden, bestätigte sich nicht. Die Firma „Altmüller“ lockerte den Abend auf mit „Berlin-Sekt“, eine andere hatte für Bier gesorgt. In einer Ecke stand ein Päckchen „Manager-light-Kaffee“.

An den Wänden hingen Nackte (Prunkstück: ein besonders bescheuertes George-Grosz-Bild), Schwänze, Mösen, zierliche Porzellanpärchen kopulierten auf Anrichten. In einer niedlichen Taschenuhr fickte ein rotes Teufelchen eine volkstümliche Blondine im Sekundentakt.

Bezaubernd auch die hübschen Teenager, die in charmanten antiquarischen Fotobänden posierten.

Auf einem Tisch war ein erotisches Menü angerichtet. Das war lustig und eine Leihgabe von „LMK“, einem Berliner Großhandel, der vor allem gebackene Genitalia und erotische Postkarten vertreibt. Michael Hartfelder, der kleine, urstsympathische Vertreter von „LMK“, wuselte zwischen den Gästen umher und bot ihnen Schokoladenpenisse an. Nur wenige lehnten ab, doch kaum einer traute sich, daran zu lutschen. Statt dessen bissen die festlich gekleideten Gäste entschlossen zu, wobei sie die Schokopenisse meist verkehrt herum einführten. „Der Penis ist der Renner“ erklärte Michael Hartfelder.

Der Kultursenator ließ grüßen („Ich wünsche dem Unternehmen viel Erfolg und sehe dafür auch gute Chancen“), und die energisch wirkende Gaby Barton, die in den letzten Jahren allerlei progressive Shows veranstaltet hatte („Lady's Erotic Night Shows“; „Berlin Boys“ etc. pp.) las aus einem „zu Unrecht vergessenen“ Zwanziger- Jahre-Roman, der in der „Edition UKE“ (= Unkastrierte Erotik – o je!) erschienen ist. Die Heldin, „Lore Bröselmeier, eine Prostituierte, die sich mit sechs von ihrem Bruder hatte „besteigen“ lassen, findet in einem Maleratelier zurück zur unschuldigen Erotik; „die Spitze seines Priaps“ nähert sich „ihrer heiligen Pforte“. Das gefiel nicht jedem. Eine Frau um die Vierzig zeigte sich sehr entsetzt. Schnippisch-aggressiv, wollte sie wissen, ob der Vorleserin denn nicht etwas an der läppischen Geschichte aufgefallen wäre – „nein“ –, um im schneidenden Ton dann darauf hinzuweisen, daß es sich doch bei Lore Bröselmeier offensichtlich um eine junge Frau handle, die als kleines Mädchen mißbraucht worden sei, und das sei doch unglaublich, daß das Erotikmuseum eine solche Literatur zu propagieren gedenke.

„Lassen Sie sich bloß nicht von „Wildwasser“ erwischen, drohte sie, als handle es sich bei „Wildwasser“ um eine Art Sittenpolizei.

Ein zweiter Höhepunkt des Abends war eine pfiffige Performance, die sich der ganz im schwarzen Leder herumscharwenzelnde „Fotokünstler“ Uwe Kempen ausgedacht hatte. Kempen, der für Bravo, Popcorn, Mädchen, Bravo-Girl gearbeitet hatte, bevor er Fotograf beim Zentralorgan für junggebliebene Sexisten, Tier- und Autofreunde, Coup, wurde, ließ zwei schöne junge Frauen durch den Durchbruch einer Pappmauer hübsch Po, Busen und Scham strecken. Das begeisterte zwar die angeregt knipsenden Fotografen; eine Kollegin vom Deutschlandradio allerdings fand das unglaublich sexistisch. Wie alt denn die Mädchen überhaupt seien, wollte sie von dem Fotografen wissen. „24“, antwortete er. Nie und nimmer. Die seien doch höchstens 16, erregte sie sich und eilte ins Nebenzimmer, um sich als Sittenpolizistin die Ausweise der Mädchen zeigen zu lassen.

Es werde zwar alles gezeigt und über alles gesprochen, sagte die Betreiberin des Erotikmuseums; es finde jedoch keine Auseinandersetzung statt über „die wichtigste Sache der Welt“. Diese Auseinandersetzungen sollen im Erotikmuseum geführt werden. Zu sagen, um was für Auseinandersetzungen es sich da genauer handle, wußte Gaby Barton nicht. Statt dessen erging sie sich in Allgemeinplätzen über das Mißverhältnis zwischen dem abgeklärt posierenden Mediensex und den eigenen privaten Erfahrungen. Die Sprachlosigkeit war jedoch allgemein. Auch die Radiokollegin, die sich von den ausgestellten Dingen nicht angeregt fühlte, wußte auf die Frage von Gaby Barton, was sie denn ganz konkret so nerve, nix zu sagen.

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