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Ein Tier mit sechs Beinen auf ungeradem Weg

■ Nintendo würde sofort aufhören mit der Produktion von Computerspielen, wenn sich erweisen sollte, daß sie der Menschheit schaden, sagen die beiden Erfinder von Super Mario

Shigeru Miyamoto, Chefzeichner vom Computerspiel-Hersteller Nintendo, erfand die weltweit bekannteste Bildschirmfigur Super Mario. Er und sein Partner, Forschungschef Gunpei Yokoi, öffneten die Software-Labors der Nintendo-Zentrale in Kioto erstmals für zwei ausländische Journalisten und erklärten im Interview die Geheimnisse der Videospielkunst.

taz: Wie erklären Sie sich, daß Ihr Mario heute bekannter ist als jeder andere Japaner auf der Welt?

Shigeru Miyamoto: Ich weiß es selber nicht. Vielleicht geht es dabei gar nicht darum, was für eine Figur Mario ist, und daß er aus Japan stammt. Es geht eigentlich nur ums Spielen. Beim Spielen gewinnt man für Mario Sympathie.

War die Erfindung von Mario Ihre persönliche Einzelleistung?

S.M.: Mario ist das gemeinsame Produkt der Firma Nintendo. Ich habe zwar Mario als erster gezeichnet. Aber in einem Spiele-Team sitzen zehn bis zwanzig Leute.

Gunpei Yokoi: Die Mario-Figur wurde weltweit erst durch die Weiterentwicklung „Super Mario“ populär. Das war einzig und allein die Leistung von Herrn Miyamoto.

Umfragen in den USA haben ergeben, daß Mario unter Kindern und Jugendlichen heute beliebter ist als Mickymaus.

S.M: Ich glaube daran nicht. Mickymaus hat eine fünfzigjährige Geschichte, während Mario nur zehn Jahre alt ist. Mario lebt allein von guten Spielen. Nur wenn wir immer wieder neue, noch interessantere Spiele auf die Welt bringen, kann Mario stark bleiben.

Viele Erwachsene können mit Ihren Spielen nichts anfangen. Ist das gewollt?

S.M.: Es gibt keine Spiele, die nur für Kinder bestimmt sind. Kinder lieben gerade die Spiele, die auch Erwachsene gut finden. Für unsere Arbeit ist es jedoch wichtig, ob die Spieler Anfänger sind, oder ob sie schon Erfahrung haben und bestimmte Tricks kennen. Im Prinzip sollen auch Erwachsene, die nie ein Videospiel berührt haben, mit Super Mario spielen können.

Leider scheitern diese Versuche oft. Ihre Spiele umgibt eine Geheimsprache, die nur noch die Kids verstehen.

S.M.: Wahrscheinlich ist das so. Wenn ein Außenstehender uns bei der Arbeit zuhört, glaubt er sicher nicht, daß das die Sprache vierzigjähriger Männer ist.

Sind Sie als Zeichner außerdem Computerexperte?

S.M.: Ich rühre die Tastatur nicht an. Man muß beim Zeichnen nur einigermaßen wissen, was technisch machbar ist.

G.Y.: Ich war früher Elektroingenieur. Spiele von Technikern sind oft nicht witzig genug, weil sie sich zu sehr an das Machbare halten. Spannend wird es erst, wenn uns die Zeichner Neues zumuten.

Nintendo gilt als eine strenge, autoritär geführte Firma. Sogar Sie tragen Firmenuniformen. Behindert das nicht die Kreativität?

G.Y.: In Japan wird Kreativität nicht sehr hoch geschätzt. Man achtet mehr auf gute Noten. Das spiegelt sich auch in unserer Firma wider. Natürlich lassen sich gerade die kreativeren Leute nicht so gern vom äußeren Rahmen begrenzen. Sie würden gerne erst mittags in die Firma kommen und in der Nacht arbeiten. Aber dann geht der Überblick verloren, und die Effektivität würde nicht unbedingt steigen. Deswegen halten wir an unseren Regelungen fest.

Ist das nicht ein Grund, weshalb viele Videospiele als äußerst gewalttätig, aber wenig kreativ daherkommen?

G.Y.: Wir achten sehr darauf, daß Spielfiguren, die bekämpft werden, weder Menschen noch lebenden Tieren ähneln, sondern irgend welche Monstren sind. Unsere Hauptfiguren kämpfen bewußt nicht offensiv, sondern wehren sich gegen eine Übermacht.

Untersuchungen in Europa haben gezeigt, daß Nintendo-Kinder zwar nicht unbedingt durch die Gewalt in den Spielen, aber aufgrund der Einsamkeit an der Videokonsole zusätzliche Aggressivität aufbauen.

S.M.: Ich nehme diese Diskussion nicht so ernst. Als wir noch Kinder waren, haben wir auch selber entschieden, was wir spielen wollten. Videospiele sind nicht daran schuld, wenn Kinder nicht mehr kommunizieren können. Die Schule trägt da eine viel größere Verantwortung. Auch die Gewalt ist kein Problem der Videospiele. Menschen haben immer andere Menschen angegriffen. Früher hat man viel gejagt. Warum soll man solche Impulse heute nicht durch Videospiele herauslassen?

G.Y.: Gerade weil die Spiele noch neu sind und so schnelle Verbreitung finden, will man auf sie ohne weiteres Wissen die Schuld schieben. Nintendo würde mit der Herstellung von Videospielen sofort aufhören, wenn bewiesen wäre, daß die Spiele schlecht für die Menschheit sind. Aber man weiß das eben noch nicht. Die Aussichten stehen 50 zu 50.

Was rät der Vater von Mario, der auch Vater eines siebenjährigen Sohnes ist, anderen Eltern?

S.M.: Mein Sohn interessiert sich jetzt zunehmend für Videospiele. Aber ich lege ihm Beschränkungen auf. Er darf damit nur spielen, wenn es draußen regnet oder schon dunkel ist. Außerdem bekommt er kein eigenes Spielgerät, sondern darf sich nur das vom Vater leihen. Aber wenn ich ihm sage, du darfst nur eine Stunde spielen, wird er natürlich nie fertig. Da bin ich dann flexibel.

Im nächsten Jahr will Nintendo Spiele mit der Qualität von Fernsehbildern anbieten. Was wird dann aus Mario?

S.M.: Mario wird sich verändern und viel Neues dazulernen. Man kann mit dem neuen Gerät sehr viel genauer simulieren: zum Beispiel ein Tier mit sechs Beinen auf einem ungeraden Weg laufen lassen. Ein Bild, für das der Computer früher eine ganz Woche pausenlos zeichnete, wird in einem einzigen Augenblick fertig sein.

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