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Lebkuchen und neue Türen

■ Bremens Polizeipräsident entschuldigt sich für mißlungene SEK-Aktion

Ein Häuflein Kinder drückt sich die Nasen an der kalten Fensterscheibe platt. Drinnen ist jäh Weihnachten ausgebrochen, mit heißem Kaffee, viel Gebäck und einem prominenten „Weihnachtsmann“. Alle Plätze in der Cafeteria des Lesumer Übergangswohnheims für Asylsuchende sind besetzt, als Bremens Polizeipräsident Rolf Lüken einen Karton mit Geschenken auf den Tisch stellt. „Holt mal schnell die Kinder rein“, rettet eine Mitarbeiterin unauffällig die Situation, und schon macht sich die Gruppe lautstark an die Verteilung der Mitbringsel.

Nicht nur die Kinder freuen sich über diese äußerst ungewöhnliche Polizeiaktion an der Peenemünder Straße. Denn während sich jene mit steigender Lautstärke über Schokolade und Spielzeugautos hermachen, erinnert der Vorsitzende des Arbeiter-Samariter-Bundes, Hans-Georg Schlodtmann, an einen weniger gelungenen Einsatz der Polizei. Vor fünf Wochen hatten 20 Beamte eines Sondereinsatzkommandos die Flüchtlingssiedlung „besucht“. Bei der Fahndung nach einem irakischen Bewohner, der einen 19jährigen Kurden in Schwachhausen erstochen haben sollte, drangen sie nachts um 2.30 Uhr zeitgleich in sechs Unterkünfte ein. Den mutmaßlichen Täter fanden sie nicht vor, – dafür jedoch etwa 15 völlig verunsicherte BewohnerInnen.

„Wir dachten erst, das sind Neonazis!“, schildert Mohammud aus Afghanistan die spektakuläre Aktion, während die tobenden Kinder wieder unauffällig nach draußen geschickt werden. Die maskierten SEKler hätten mit keiner Silbe erwähnt, daß sie von der Polizei sind: „Die haben uns einfach auf den Boden geworfen und gefesselt.“ Und das Schlimmste: Noch nicht einmal nach der Aktion wurden die verängstigten Menschen darüber aufgeklärt, was überhaupt passiert war. „Auch das Wort Entschuldigung“, erklärt eine Mitarbeiterin dem Polizeichef, „wäre sehr nett gewesen“. Ein Schutzpolizist, der nach dem Einsatz mit den Betroffenen reden wollte: „Mir fehlten nach dem Einsatz der Kollegen die Worte. So etwas habe ich auch noch nicht gesehen“: Türen zertreten, Menschen gefesselt am Boden, verängstigte BewohnerInnen.

Für Flüchtlinge stelle nun einmal auch in einem Rechtstaat die Polizei kein Beruhigungsmittel dar. „Das muß in die Polizeiausbildung eingehen“, erklärt Schlodtmann dem Polizeichef, „daß viele Menschen hier in ihren Herkunftsländern Opfer von Folter wurden, und Polizeiuniformen noch immer Ängste auslösen.“ Daß viele BewohnerInnen Zeugen latenter Fremdenfeindlichkeit wurden, bringt ein Mitarbeiter ein. George, der 17jährige Schwarzafrikaner berichtet, wie er Opfer der Willkür eines Zivilpolizisten wurde, der ihm auf offener Straße mit Gewalt den Mund öffen wollte. Als ob jeder Mensch mit schwarzer Hautfarbe ein Kokain-Dealer sei! Heute ist auch für George Bescherung: Jemand steckt ihm ein Geschenk aus Lükens Karton zu: Ein T-Shirt mit der die Aufschrift „Die Bremer Polizei ist spitze!“.

Der Polizeichef zeigt sich bemüht: Den Vorwürfen gegen einzelne Beamte werde er nachgehen, aber der SEK-Einsatz sei notwendig gewesen: Immerhin wurde in Mörder gesucht. Lüken entschuldigt sich für mögliche Fehler bei der Aktion. Doch es liegt sicher nicht nur am reichhaltigen Weihnachtsgebäck, daß Lüken bei MitarbeiterInnen und AsylbewerberInnen gut wegkommt. Offensichtlich ist die Freude darüber, daß er überhaupt gekommen ist, und so erheitert sogar ein Mitarbeiter die Beamten beim Gang durch die heimgesuchten Räume des Sondereinsatzes ironisch: „Sehen Sie, wir haben immerhin neue Türen bekommen“. André Hesel

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