: Wer Windkraft sät, wird Sturm ernten
■ Wo Ostfriesland am windigsten ist, schießen Windräder wie Spargel aus der Erde. Viele Menschen fühlen sich von ihnen belästigt und bedroht. Es gibt Streit und Bürgerinitiativen gegen Windparks. Eine Reportage von Burkhard Straßmann
„Nimm eine Mütze mit und einen Schal, da ist es windig.“ Die treusorgende Mutter aus dem sonnigen Rheinland kennt Ostfriesland nicht, aber soviel weiß sie: Der ostfriesische Wind beschädigt die Dauerwelle und beschleunigt die Erkältung. Nebenbei weht er die sandigen Böden fort und sorgt jeden Herbst für Dachschäden, da können sich die ostfriesischen Häuser so tief ducken wie sie wollen. Seit einigen Jahren wollen die Ostfriesen vom Wind etwas zurückbekommen – in Kilowatt.
Als hätte jemand sie ausgesät, schießen überall im Land spargelgleich die Windräder aus dem Boden, so daß sich alte Frieslandtouristen die Augen reiben. Der Anlagenbau boomt wie verrückt. Schon ist von „Windparks“ mit über 100 Windrädern die Rede. Das Land verändert sich. Und die Leute werden unruhig. Notrufe erreichen die Redaktion. „Unsere herrliche Marschenlandschaft droht in Monsterfriedhöfe mit Drehkreuzen verwandelt zu werden!“ Der Boom: „ein Seuche“. Der Deckmantel: „die Liebe zur Umwelt“. Grund genug für den Reporter, die Mütze aufzusetzen und den Schal umzubinden.
Wittmund. Zollgrenzbezirk. Ein Steinwurf bis zu den Seebädern Neuharlingersiel und Bensersiel. Motto: „Hol di munter!“ Das Heimatmuseum ist in einer Windmühle untergebracht. In den schmucken Vorgärtchen drehen sich Windmühlchen. Die Fahnen an den Autohäusern stehen stramm im Wind. Windstärke 4 bis 5, schätze ich. Aber hier mißt man den Wind anders: in Meterprosekunde. 5,5 bis 6 m/s hat man hier im Jahresmittel. Das ist Spitze! Finden die Windenergie-Freunde. Wittmund, das man nicht kennt, wenn man nicht muß, hat gute Chancen, groß rauszukommen: Europas größte Windparks sind im Kreis geplant. Schon heute findet man kaum einen Punkt, von dem aus man keine winkende „Windmühle“ sieht. Obwohl sie nichts zu mahlen haben, heißen die Spargel bei den meisten Leuten hier noch „Windmühle“.
Utgast. Ein schnuckliges Nest mit einer überraschend winkligen Straße. Kleine rote Häuschen. Am Ortsende steht das Haus von Frau A., die ihren Namen nicht schon wieder in der Zeitung lesen möchte. Hinter ihrem Hof beginnt „Utgast I“, das sind eine kleine und acht große Windkraftanlagen, die tagaus tagein brummen und summen und deren Flügel in Erdnähe „wusch wusch wusch“ machen. Die gewaltigen Mastkonstruktionen knacken bei Winddruck. In der untergehenden Herbstsonne streichen lange Schatten über den Hof von Frau A. Das schöne, schlanke und alternative Windrad hat nämlich durchaus „Emissionen“.
„Eine ziemliche Kurbelei,“ sagt Frau A.; ja, es summe, bei Wind pfeife es auch, „aber damit können wir bestens leben“. Der rasende Schatten komme auch erst abends, wenn die Sonne fast weg ist. „Krach? Die Trecker machen Krach, die Kälber quieken, das Dach rappelt, die Buchenhecke raschelt – die Windmühlen stören dabei überhaupt nicht.“ Laut ist auch die Getreidemühle, die das Futter für fünfzig Kühe mahlt. Keine Windmühle: elektrisch.
Man sollte erwähnen, daß Familie A. eins der Windräder besitzt. Wenn es da bei Sturm so richtig zur Sache geht, hört sich für Familie A. der Windradlärm wie das Klingeln einer Kasse an.
In Utgast ist der Dorffrieden gestört. „Der Zusammenhalt war ohne Windmühlen besser,“ sagt Frau A., „früher hat man sich öfter besucht.“ Manche Leute gehen grußlos aneinander vorbei, Kinder beschimpfen sich in der Schule. „Es sind ja nicht viele dagegen – aber die dagegen sind, haben eine große Klappe.“ Dagegen heißt: gegen den Windpark Utgast, der den Charakter des Dorfes nachhaltig verändert. Insbesondere gegen den sogenannten „Dino-Park“, „Utgast II“, der mal auf über 100 Windräder angelegt war und jetzt immer noch 40 haben soll. Dann schwirrt die Luft ums Dorf; und der Tourist, das scheue Wild, möchte ausbleiben. „Die Böden sind schlecht, reiner Sand. Hier gibt es keinen einzigen Gewerbebetrieb, die Touristensaison ist sowieso zu kurz. Und die Gemeindekassen sind leer,“ erklärt Frau A.. Mit Windenergie aber kommt Geld in die Gemeinde.
„Dort waren sie schon alle, SAT 1, RTL“: Frau A. weist auf eine alleinstehende Windkraftanlage zwei Kilometer weiter. Hier wohnt Familie Zeiger, inzwischen ein Symbol des ostfriesischen Widerstandes gegen die ungebremste „Verspargelung“ des Landes. Denen wurde in 170 Metern Entfernung vom Haus eine gewaltige Windkraftanlage vor die Nase gesetzt. Die Zeigers sind mittlerweile fertig mit der Welt. Sie haben Brausen, gewehrartiges Knallen, Heulen und eine Art „Kuckuck-Rufe“ vom Windrad gehört, morgens bei Sonne haben sie nervende Lichteffekte namens „Disco-Effekt“ im Haus, denen sie kaum entgehen können, ebensowenig dem rotierenden Schatten, der ihre Wohnung rhytmisch verdunkelt. Bekannte haben inzwischen oft schon keine Lust mehr, die Zeigers zu treffen – weil die immer nur noch über das Eine reden können.
Esens. Bei Ewald Krüsmann kann man einen Imbiß einnehmen, der schon bundesweit gepriesen worden ist. Seine Dressing- und Snack-Rezepte wurden (mit Foto) in einer Gastronomiezeitschrift auf einer Seite des Majonäse-Herstellers Homann publiziert. „Alles nicht so einfach,“ räsonniert er, auf die Windräder angesprochen. „Das Geld wird weniger.“ Merkt er in seinem Imbiß, die Leute sparen. Und der Ostseetourismus als Konkurrenz fängt gerade erst richtig an. Da darf man seine Touristen nicht vergraulen – „zuviel Windmühlen ist ganz schlecht, das wollen die nicht.“
Abens-Hammrich. Hammrich heißt so viel wie Abseits, und das will in Ostfriesland schon etwas heißen. In dieser Ecke des flachen, weiten, windigen Landes haben sich zahlreiche Ruhesucher ein Haus gebaut. Maxi Vogel lebt seit elf Jahren hier. Leitet ein Fremdenverkehrsbüro. Hat ein paar Pferde. Ihr Mann arbeitet auf dem Fliegerhorst und ist froh, zu Hause die Ruhe zu genießen. Seit einem Jahr schaut Maxi Vogel morgens aus dem Fenster und hat eine Schreckensvision: 40 stählerne Riesen stehen rund ums Haus auf der Wiese, die einmal bis zum Horizont reichte, und der ist in Friesland nun einmal sehr weit weg. Die Riesen winken immerfort mit den Armen.
Auf einer Fläche, die etwa so groß wie das Stadtgebiet von Wittmund ist, ist ein Park von 42 Windmühlen geplant. Für Frau Vogel bedeutet das das Ende ihres Paradieses im Grünen. Mit anderen Betroffenen hat sie eine „Bürgerinitiative gegen den Windpark“ gegründet, diese aber schnell umbenannt in „Bürgerinitiative für umweltfreundliche Windenergie“. Denn eigentlich findet sie Windenergie gut, selbst vor ihrer Tür. Diesen Windpark aber findet sie umweltfeindlich. Zu groß. Zu nah. Da hat sie Angst. Die Bügerinitiative hat für 1300 Mark einen Computer simulieren lassen, wie es dann aussähe vor ihrer Tür: voll. Der Eindruck von ruhiger weiter Fläche wäre hin. Verstellt.
Nicht daß die Verwaltung sie und die Nachbarn informiert hätte. Beim Pferdefutterholen hörte sie nebenbei von den Plänen. Beteiligung der Bürger? Fehlanzeige. Falls Pläne in Schubladen liegen, werden sie nicht gezeigt. Bisher gibt es nur eine Betreibergesellschaft, der gehört der Ortsvorsteher der zuständigen Gemeinde Burhafe, Gerd Voß, an. Mit Gerd war man mal per Du. Nach endlosen Versuchen, der Behörde die Planung zu entlocken, schimpft Frau Vogel heute auf „die Mischpoke“.
Auch die Banken haben nach anfänglichem Zögern, ob man für Windmühlen Kredite geben kann, erkannt, daß hier eine schnelle und recht sichere Mark winkt. Die Oldenburger Landesbank verschickt verlockende Kalkulationen unter der Überschrift: „Wer den Wind einfängt, wird Strom ernten.“ Daß man auch Sturm ernten kann, damit hatte lange Zeit niemand gerechnet.
Am allerwenigsten die „Alternativen“, die Grünen, die Ökos. Zu Besuch bei den Vogels ist Ulrich Messner, Badearzt in Bensersiel. Sein Lebenslauf ist interessant. Zunächst studierte er Maschinenbau und hatte vor, Kernphysiker zu werden. Ihn faszinierten die Möglichkeiten der Atomenergie. Doch er wurde Arzt. Nebenher begeisterte er sich früh für Windenergie, wurde einer der Motorren der Entwicklung in Ostfriesland und gehört heute zum „Freundeskreis Windenergie Harlingerland“. „Ich bin Betreiber,“ bekennt er; ihm gehört die Hälfte einer Anlage. Doch daß es Fehlentwicklungen gibt, ist ihm heute auch klar. „Größere Windparks von z.B. 40 bis 60 Anlagen haben nicht nur einen starken Landschaftsverbrauch, sondern zumeist auch einen ca. 25 Prozent großen Energieverlust dadurch, daß die Anlagen zu dicht stehen.“ Die Windräder nehmen sich gegenseitig den Wind aus den Flügeln. Und: Die Anwohner müßten nicht nur bei der Planung, sondern auch bei Ausführung und Betrieb einbezogen und beteiligt werden. Sonst verspielt die Windenergie ihr Image-Plus ganz schnell.
Jeder kann es ausprobieren, der Reporter hat es an sich selbst erlebt: Eben noch ein geschätztes Symbol für saubere, gute Energie, kommt ihm nach wenigen Stunden im Windmühlenland unter verängstigten und schimpfenden Betroffenen das Windrad plötzlich auch als bedrohlicher Störenfried vor. Da nützen nicht einmal Betreiber Messners Hinweise aufs Ozonloch. Wen aber die Angst packt, den packt sie leicht richtig: Maxi Vogel wird von ihren Kolleginnen zunehmend gereizt erlebt; wenn sie davon spricht, daß sie „eingekreist“ wird, spricht sie von enormer psychischer Last.
Dann wird die Bedrohung namenlos. Dann drückt die Landesregierung ihr Anti-Atom-Programm auf dem Rücken der Ostfriesen durch; dann leidet das Land unter der „Profitgier“ Auswärtiger, Fremder; und selbst Ortsvorsteher und andere Dorfbewohner werden zu „Fremden“, weil sie nicht unmittelbar am projektierten Bauplatz wohnen. „Macht doch mit beim Goldrausch, eröffnet einen Kiosk!“ hatte Frau Vogel vom Ortsvorsteher zu hören bekommen. Einen Kiosk für die Besucher des gigantischen Windparks! Ein Windingenieur hatte ihr den Tip gegeben: Verkaufen! Wegziehen! Niemand kümmert sich um ihre Sorgen. Das ist schlecht für sie – und schlecht für die Zukunft der Windenergie.
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