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Bugs Bunny, Kafka und die Posaunistin

Wie Abbie Conant 12 Jahre darum kämpfte, Solo-Posaunistin der Münchner Philharmonie zu werden  ■ Von Sonja Schock

Am Anfang war eine Real-Satire. Daraus folgten: Ein Semi-Dokumentarfilm, zwei Musiktheaterstücke und feministisches Bewußtsein. Und eine Solo-Posaunistin entwickelte sich zur Performance- Künstlerin.

Die Realsatire selbst dauerte zwölf Jahre lang. Sie begann 1980 hinter einem Vorhang des Münchner Philharmonischen Orchesters. Dorthin begaben sich nacheinander 33 PosaunistInnen, um für die vakant gewordene Stelle der ersten PosaunistIn vorzuspielen. Der Vorhang war eingeführt worden, um etwaige Bewerberinnen nicht zu benachteiligen. Daß ausgerechnet unter den Blech-Bewerbern eine Frau sein könnte, damit hatten offenbar weder der Generalmusikdirektor Sergiu Celibidache noch die Vorstandsmitglieder des Orchesters gerechnet. Als dann der Vorhang gelüftet wurde, und sich Abbie Conant, die unbestrittene Siegerin des Vorspiels, als Frau entpuppte – versehentlich war sie als Mr. Abbie Conant zur Vorstellungsrunde eingeladen worden –, war das Entsetzen groß. Und der Vorhang wurde wieder abgeschafft.

Die meisten anderen Orchestermitglieder hatten weniger Probleme mit ihrer neuen Kollegin. Nach dem obligatorischen Probejahr stimmten sie mit 98prozentiger Mehrheit für den Verbleib Conants. Celibidache jedoch wollte diese Frau loswerden. Nach dem Probejahr begann er, alle Register zu ziehen. Er degradierte Conant erst einmal – ohne Gründe zu nennen – zur zweiten Posaune.

„Das Ganze war völlig kafkaesk“, erinnert sich Conant. „Am Anfang hatte ich immer das Gefühl, etwas falsch zu machen, und wußte nicht was.“ Damals konnte sie sich einfach nicht vorstellen, daß sie nur wegen ihres Geschlechts abgelehnt wurde. In einem persönlichen Gespräch bat sie den Meister: „Sagen Sie mir, was Sie nicht mögen. Ich bin ausgebildet, ich habe Talent, ich weiß, daß ich so spielen kann, wie Sie es wollen.“ Celibidaches Antwort fiel unmißverständlich aus. Sie kenne das Problem. Er suche einen Mann für die Solo-Posaune. „Damals war ich eigentlich nicht sehr feministisch; das bin ich dann aber bald geworden“, blickt Conant zurück.

Sie beschloß, gegen die Herabstufung zu prozessieren. Ihr Anwalt hatte ihr geraten, den neuen Arbeitsvertrag unter Vorbehalt zu unterschreiben. Als die Posaunistin ihrer Unterschrift die Vorbehaltsklausel hinzufügen wollte, kam es im Personalbüro des Orchesters zum Handgemenge. Conant: „Der Personalreferent versuchte, mir den Vertrag zu entreißen. Wie eine Verrückte schrieb ich weiter, während der Mann an dem Vertrag zog und schließlich drohte, ihn in zwei Hälften zu zerreißen.“ Ihr gelang es, den Vertrag zu schnappen und ihren Anwalt um Hilfe zu rufen.

Diese eindrucksvolle Szene hat Brenda Parkerson, Freundin Abbie Conants, später als Singspiel gestaltet. Sie erlebte die Jahre der Auseinandersetzungen hautnah mit und schwor sich schon früh, daraus einen Film zu machen. Die ersten Entwürfe, die die junge Regisseurin einreichte, wurden abgelehnt. Wieder so ein trauriges Frauenschicksal! Parkerson beschloß, die Farce als Farce zu gestalten und erhielt daraufhin Fördermittel. Ihr Film, der morgen in 3 sat gezeigt wird, montiert Interviewsequenzen, Singspielpassagen, Dokumente und Ausschnitte aus Theaterstücken und anderen Filmen. Ob sie sich mit der Darstellung der Prozeß- und sonstigen Streitszenen als Singspiel an Brecht angelehnt habe? „Nein“, Parkerson lacht, „den hab ich gar nicht gelesen. Ich hab' mehr an Bugs Bunny gedacht.“ Conant meint nach einer ersten privaten Vorabschau: „Für mich ist der Film wie eine Therapie, weil er so lustig ist.“

Die Auseinandersetzung selbst fand sie weniger lustig. Sie habe immer wieder Depressionen bekommen. „Ich hab' jeden Tag daran gedacht, in die USA zurückzugehen“, sagt Conant, „aber andererseits hab' ich immer gedacht: das ist doch so absurd, das muß doch bald vorbei sein.“ Statt dessen reihte sich Prozeßverhandlung an Prozeßverhandlung. Erst nach einigen Verhandlungstagen legte der Verwaltungsdirektor der Münchner Philharmoniker dem Gericht die Einwände des Maestros vor. Die Klägerin verfüge nicht über die physisch erforderliche Kraft als Stimmführerin der Posaune, sie sei nicht in der Lage, die Posaunengruppe eindeutig zu führen, zudem fehle ihr das erforderliche Einfühlungsvermögen, um die künstlerischen Vorstellungen Celibidaches umzusetzen.

Conant blieb nichts anderes übrig, als Referenzen von Kollegen einzuholen. 43 zum Teil weltbekannte Dirigenten und Bläser bescheinigten ihr eine „ausgezeichnete Technik“, „großes Einfühlungsvermögen“, „außerordentliche Fähigkeiten“, „künstlerische Vielseitigkeit“ und „sichere Musikalität“. Conants Glück: Immer wenn Gastdirigenten das Orchester führten, durfte sie die erste Posaune spielen. An das anschließende Klinkenputzen hat sie lebhafte Erinnerungen: „Das war so erniedrigend, Briefe von Gastdirigenten einzuholen, um zu beweisen, daß ich gut bin.“ Diese Zeugnisse reichten jedoch nicht aus. Als ihre Kontrahenten ihr auch noch einen Mangel an Puste andichten wollten, machte Conant einen Lungentest. Die Krankenschwester fragte sie hinterher, ob sie Leistungssportlerin sei.

Zwei Jahre lang suchte Conant nach einem unabhängigen Experten, der bereit war, ihre spielerischen Fähigkeiten zu prüfen und zu bestätigen. Währenddessen ging der Nervenkrieg weiter. Mal wurde ihr angedroht, daß man möglicherweise ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht würde verlängern können, mal unterstützten Kollegen ihren Dirigenten durch Mobbing-Aktionen.

Kleine fiese spielerische Tricks, um Conant aus dem Takt zu bringen, gehörten ebenso zu ihrem Repertoire wie Bemerkungen à la „man kann deutlich ihre Brustwarzen sehen“ kurz vor dem Auftritt. Daß sich andere MusikerInnen nicht offen mit ihr solidarisierten, verärgert Conant am meisten. „Ich habe mich wie ein Paria gefühlt“, erzählt sie, „wenn die anderen sich hinter mich gestellt hätten, das hätte bestimmt sehr geholfen. Das waren schließlich nur einige wenige Männer, die mich angegriffen haben.“

Ihre Wut gegen die irrationale Maschinerie, der sie jahrelang ausgeliefert war, und der sie Schritt für Schritt rational durch mehrere Instanzen hindurch entgegengetreten ist, bringt sie jetzt in der Filmrolle der Miriam zum Ausdruck. Miriam sitzt in der Irrenanstalt und plant ein Theaterstück für ihre Kinder. Miriam ist die kreative, aber gebrochene Frau, die erst Posaune spielt und Masken ausprobiert, schließlich aber mit Holzfesseln an einen Stuhl gebunden und zum Schweigen gebracht wird. Was ihr in der letzten Szene bleibt, ist ihr unbeugsamer Wille und die Wut, die aus ihren Augen sprüht. „When a woman gnaws off her tongue“, heißt es im Stück. Autor und Komponist: William Osborne, Conants Ehemann. Auch er hat die ganzen 13 Jahre der Auseinandersetzung fassungslos miterlebt. Inzwischen bezeichnet er sich selbst als Feminist.

William hat an Abbie Conants Seite gekämpft, ihr immer wieder Mut gemacht, den allzu zögerlichen Anwalt ermahnt, schließlich sogar die Presse eingeschaltet. Den letzten entscheidenden Schritt mußte Conant jedoch allein gehen: 1988 bekam sie endlich die Gelegenheit, einem Gutachter vorzuspielen. „Das war für mich der dramatischste Moment, als ich nach all den Jahren des Kampfes beweisen mußte, daß ich recht hatte, daß ich gut bin“, resümiert sie. Der Gutachter bestätigte ihr Können. Sie sei durchaus in der Lage, „in einem Spitzenorchester als Solobläserin schwierigste Phrasen nach Anweisung des Dirigenten ausreichend lange und mit der gewünschten Intensität sowie Stärke durchzuhalten“.

Auch das Gericht gab Conant endlich Recht. Sie bekam ihre Stelle als Solistin zurück. Bald fand sie jedoch heraus, daß sie in eine niedrigere Gehaltsstufe eingestuft worden war als alle anderen Solisten. Erneut zog Conant vor Gericht, wo sie abermals mehrere Jahre um ihr Recht kämpfte und es schließlich 1993 auch bekam. Nach ihrem Sieg verließ sie das berühmte Orchester und nahm eine Stelle als Posaunen-Professorin an der Musikhochschule in Trossingen an. Beinahe unnötig zu erwähnen, daß sie in Deutschland auch in diesem Bereich die einzige Frau ist. Wenn ihre Studentinnen sich wegen ihres Geschlechts diskriminiert fühlen, versucht sie ihnen klarzumachen, daß sie dieses Gefühl ernst nehmen und nicht als Hirngespinst abtun sollen. „Shit happens“, ist Conants lakonische Botschaft.

Natürlich sei das ganze ein Balanceakt. Zuviel Naivität führe dazu, bei Widerständen und Diskriminierungen allzu schnell an den eigenen Fähigkeiten zu zweifeln. Zuviel Bewußtsein könne dagegen leicht zu allzu viel Mißtrauen führen. „Ich kann mich noch erinnern“, erzählt Conant, „wie mir eine Kollege vor einem Konzert einmal toi, toi, toi gewünscht hat. Ich bin völlig mißtrauisch geworden, hab' gedacht, wieso, das ist doch gar kein schweres Konzert, glaubt der etwa, daß ich Glück nötig habe?“ Conant selbst hätte sich damals mehr Austausch mit ihren Kolleginnen gewünscht und glaubt auch heute, daß ein solcher Erfahrungsaustausch die Frauen davor bewahren kann, ihre Schwierigkeiten als individuelles Problem fehlzudeuten. Trotz aller Belastungen ist sie froh darüber, die Sache durchgestanden und einen Präzedenzfall geschaffen zu haben. Anfang Januar wird sie wieder in München spielen, diesmal jedoch als Performance-Künstlerin. In einem neuen Musiktheaterstück von William stellt sie eine obdachlose Straßenmusikerin dar, die davon träumt, vor großem Publikum zu spielen.

Film: „Abbie Conant – Eine Real- Satire mit einem Singspiel“, 30.12.94, 22.50 Uhr, 3 sat. Stück: „Beeb and Bab“, 4.-6.1.95, 20 Uhr, Labor-Festival im Marstall, München

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