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Eine Basis für die neue Abschiebewelle

Türkische Behörden ließen den klammheimlich von Bayern abgeschobenen Kurden entgegen der Gepflogenheiten laufen / Todesgefahr trotz abgekarteten Exempels  ■ Von Ömer Ezeren und Annette Rogalla

Istanbul/Berlin (taz) – Die türkischen Behörden verbuchen die spektakuläre Abschiebung des Kurden Talip Dogan aus einem bayerischen Gefängnis als demokratischen Erfolg. Obgleich der 35jährige sich während des zweistündigen Verhörs auf dem Flughafen von Istanbul als PKK-Anhänger zu erkennen gegeben hatte, ließen sie ihn entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheiten laufen. Außergewöhnlich auch, daß zwei Rechtsanwältinnen des türkischen Menschenrechtsvereins bei den Verhören anwesend sein durften.

Der Sprecher des türkischen Außenministeriums, Ferhat Ataman, sagte in Ankara, dies sei Beispiel, daß sich „türkische Staatsbürger kurdischer Abstammung in der Türkei auf Verfahren nach Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verlassen können.“

Die Proteste wegen Foltergefahr, die die klammheimliche Abschiebung durch den bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU) hierzulande hervorgerufen hatte, nannte Ataman einfach nur „Verleumdungskampagnen“.

Daß die Türkei fortan in jedem Falle die Menschenrechte wahrt, glaubt der Rechtsanwalt des Abgeschobenen hingegen keineswegs. „Vielleicht lassen sie Herrn Dogan, der vor zehn Jahren in der Türkei wegen des Verbreitens kurdischer Schriften im Gefängnis saß, wirklich in Ruhe“, sagte Christoph Michel der taz. Er vermutet jedoch, daß mit der Aktion die Basis für große Abschiebewellen nach Ablauf des Abschiebestopps am 20. Januar gelegt werden sollte. Ein postives Exempel habe die Türkei im Falle Talip Dogan statuieren wollen, diejenigen, die hinterhergeschoben werden, müßten trotzdem Todesgefahr gewärtigen.

Die Landtagsabgeordnete der bayerischen Grünen, Elisabeth Köhler, vermutet hinter Becksteins Einzelaktion ein mit den Behörden in Ankara abgekartetes Spiel. Jetzt könne CSU-Beckstein, der Rechtsaußen der Länderinnenminister, seinen Kollegen vorführen, daß die Türkei Rechtsstaatlichkeit wahre, somit eine Verlängerung des Abschiebstopps nicht nötig sei. „Infam“, nennt Köhler Becksteins Vorgehen. Der Innenminister sei seit langem dafür bekannt, daß er Kurden, die sich in Deutschland politisch äußern, kriminalisieren wolle.

Die Lage der Kurden in der Türkei hat sich in den vergangenen Wochen nicht verbessert. In dieser Woche berichtet die Londoner Sektion von amnesty international von Murat Fani, der in Mersin, in der Südosttürkei im Gefängnis sitzt. Der Anwalt, der ihn vor vier Wochen besuchte, sah eindeutige Folterspuren bei ihm. In den Gefängnissen werden weiterhin Menschenrechte verletzt. Gefangene berichten von Folter mit Elektroschocks, Hodenquetschungen und eiskalten Wasserbädern.

Für Elisabeth Köhler ist auch Talip Dogan noch nicht in Sicherheit. Seine Verbringung in die Türkei hält sie nach wie vor für rechtswidrig. Sie verweist darauf, daß selbst der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber am 12. Dezember versprochen habe, Bayern werde bis zum 20. Januar nicht abschieben. Eine Stellungnahme von Stoiber zur vorgestrigen rigorosen Abschiebung durch seinen Innenminister war nicht zu erhalten. Stoiber befindet sich im Urlaub. Günther Beckstein suchte gestern Schutz in den Bergen und weihte ein Lawinenwarnsystem ein. Er scheint seinen eigenen Anordnungen zuwidergehandelt zu haben. Mit Rundschreiben vom 13. Dezember hatte er persönlich alle bayerischen Ausländerbehörden angewiesen, bis zum 20. Januar seien „sämtliche zwangsweise Rückführungen in die Türkei“ aufgehoben. Einzige Ausnahmen seien Straftäter. Ein rechtskräftig verurteilter Straftäter ist Talip Dogan jedoch nicht. Sein Berufungsverfahren, das sowohl sein Anwalt wie auch die Staatsanwaltschaft verlangt haben, findet erst am 6. Februar statt.

Gestern forderte Rechtsanwalt Michel den bayerischen Innenminister auf, Talip Dogan nicht mehr als Straftäter hinzustellen. Schließlich habe das Amtsgericht Ausgburg, festgestellt, daß der Kurde bei seiner Festnahme beim Newroz-Fest keinerlei Widerstand geleistet habe. Der einzige Belastungszeuge, ein junger Polizist, habe eindeutig ausgesagt, daß er den Angeklagten nicht bei einer Straftat beobachtet habe. Er habe ihn festgenommen, weil er bei der Flucht vor der Polizei hingefallen sei und auf dem Rücken lag. „Von ihm ist keine Gewalt ausgegangen“, gab der Beamte zu Protokoll.

Talip Dogan war als Asylbewerber in der Bundesrepublik nicht anerkannt worden – allein deswegen hätte ihn der Abschiebestopp schützen müssen.

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