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■ Osteulen statt Westadler wachen über NaturschutzgebieteDie Klügere gibt nach

Die Hackordnungen der Vögel sind streng. Wenn sie geändert werden, fällt eine Welt in sich zusammen. Auch der Gedanke des Naturschutzes muß diesem Umstand Rechnung tragen, gerade er muß das tun. Aber er konnte bisher nicht recht. Vierzig Jahre lang war er selbst ein Opfer des kalten Krieges geworden. Ein freigelassener Bundesadler spreizte in Westdeutschland die Schwingen auf Warndreiecken, die in Wahrheit wenig Königliches anzuzeigen hatten. Dahinter begannen Grundstücke, die von der Regierung für weitgehend nutzlos erachtet und deshalb dem Naturschutz gewidmet worden sind. Tatsächlich handelte es sich oft genug um wilde Müllkippen.

Auf der anderen Seite der Mauer saß die Eule im Trapez auf gelbem Grund und wachte im Auftrag der Partei ebenfalls über nutzlose Gebiete, die der sozialistischen Naturbetrachtung anheimgegeben waren.

Nun ist diese Zeit der Spaltung vorbei. Der Adler weicht, die Eule macht rüber, der Naturschutzvogel der ehemaligen DDR. Nach dem Willen der einen deutschen Regierung soll sie ab 1. Januar vor dem unzulässigen Betreten aller deutscher Naturschutzgebiete warnen. Vor der Wende hatte sie in dieser Hinsicht nur sinnfällig den Unterschied zwischen Klassenherrschaft und allseitiger Bildung der herrschenden Arbeiterklasse dargestellt: Adler hochfliegend hier, Eule nachdenkend dort.

So konnte es natürlich nicht bleiben. Raubvögel sind zwar von Natur aus beide, Adler wie Eule, und was hinter den Schildern mit ihrem Bild lag, unterschied sich auch nicht grundsätzlich. Doch ist eben an den Hackordnungen der Vögel zu erkennen, daß es auf die Realität weniger ankommt als auf ihre symbolische Repräsentation. Also mehr auf das Schild davor als auf die Feuchtwiese dahinter.

Männliche Pfauen wären geradezu protypische Vertreter dieses virtuellen Zeitalters der Differenz. Ihre latente Dekadenz weckt jedoch Sozialneid und macht sie ungeeignet zu Bewachung bürgerlicher Symbolzonen. Deswegen muß die Erweiterung der Eule auf den gesamten Naturschutz Deutschlands als Fortschritt betrachtet werden. Ändern wird sich nichts, das ist der wichtigste Grund für den Wechsel der Schilder. Sie signalisieren damit gewisse Einsichten von Behörden. Der Adler flog zu hoch. Eulen sind klüger, sie geben nach. Denn auch deswegen war der Vogel der Macht in diesem Symbolfall unglaubwürdig geworden. Artgerechte Sturzkampfangriffe auf menschliche Naturfrevler sind von ihm keine überliefert. Er war einfach lächerlich. Die Eule denkt viel langfristiger über Anfang und Ende der Welt nach. Sie ist ohnmächtig, aber in der Nacht sieht sie am besten. Eine Stasi-Vergangenheit ist ihr deswegen nicht vorzuwerfen. Die Eule sieht alles, aber sie schweigt. Deswegen gilt sie als Inbegriff der Weisheit. Niklaus Hablützel

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