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Schnee von gestern Von Mathias Bröckers

Die taz auf CD-ROM ist meine Rettung. Seit zehn Jahren jede Woche eine Kolumne, das kann kein Mensch alles aufheben, vor allem wenn ihm Tätigkeiten wie Sammeln, Archivieren, Abheften, Ordnen so gegen den Strich gehen wie mir. Schon als Junge habe ich die tollen Sammlungen meiner Freunde stets bewundert, selbst aber nie die Ausdauer aufgebracht, irgend etwas länger als ein paar Monate zu sammeln. Und so ging es auch mit dem Selbstgeschriebenen: die ersten Artikel sind noch säuberlich ausgeschnitten und aufgeklebt, schon nach dem ersten halben Jahr bekommt die Sammlung Lücken, kurz darauf schon kann von Sammlung keine Rede mehr sein, riesige Lücken wechseln sich mit sporadisch und lieblos abgehefteten Artikeln ab. Wanderten die gesammelten Werke in den ersten Jahren wenigstens noch in einen Leitz-Ordner existieren sie seit Ende der 80er nur noch als ein großer Haufen Altpapier in der hintersten Ecke des Regals. Einer meiner guten Vorsätze fürs vergangene Jahr war, diese Dreckecke zu eliminieren und die Sachen endlich mal abzuheften – er blieb unerledigt, und die CD-ROM brachte mich jetzt in Versuchung, den ganzen Stapel gleich runter in den Papiercontainer zu befördern. Warum noch zu so steinzeitlichen Geräten wie Schere, Locher und Prit-Stift greifen, wo die elektronischen Helferlein jetzt alles so wunderbar parat halten? Doch erst noch eine Probe aufs Exempel. Ein User hatte bei der Geschäftsführung angerufen und gemeldet: Wenn er im Suchprogramm die Stichworte „Goethe“ und „UFO“ eingibt stürzt der Computer regelmäßig ab. Auf meiner Bio-Festplatte hatte ich den Artikel über Goethes nächtliche Sichtung einer fliegenden Untertasse, die er in seinem Tagebuch als „wundersam erleuchtetes Amphitheater“ beschreibt, noch gespeichert. Muß 91 oder 92 erschienen sein und liegt mit ziemlicher Sicherheit irgendwo in diesem Haufen, zusammen mit einem Leserbrief, der dazu kam. Jetzt lassen wir den Laser suchen ... und siehe da: der Computer stürzt ab. Nichts geht mehr, nicht einmal einen Warmstart will die Kiste mehr hinlegen. Hat Intel in den neuen Pentium-Chip außer einem Rechenfehler auch noch einen germanistischen Denkmalschutz eingebaut, der verhindert, daß Heroen der deutschen Klassik mit unheimlichen Begegnungen der dritten Art in Zusammenhang gebracht werden? Obwohl sie schwarz auf weiß in der Goetheschen Autobiographie nachzulesen ist. (In der letzten Zeit findet sich übrigens der hervorragende Artikel eines US-Germanisten über Goethens vom deutschen Denkmalschutz unterschlagene Stasi- und Spitzel-Tätigkeiten.) Wie auch immer, nach drei Fehlversuchen, Goethes fliegende Untertasse auf den Bildschirmn zu zaubern, steht fest: der Haufen Altpapier bleibt hier und wird 1995 sortiert und abgeheftet! Vorerst bleibt Papier noch unverzichtbar – auch wenn die zwei Silberlinge der Compact-taz geradezu sagenhafte Archivdienste leisten. Vor allem für sammelunfähige Schreiberlinge auf der Jagd nach verlorenen Schätzen.

Von den über 400 Artikeln werde ich höchstens 20 auf säurefreiem Hanfpapier ausdrucken – für die Enkel und die Ewigkeit. Was sollen die mit alten Zeitungen? Der Schnee von gestern ist das Hochwasser von morgen.

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