: 100 Minuten alle mit allen
■ "Red, Hot & Cool" - mehr als noch so ein gutgemeinter Benefiz-Sampler
Das haben Sie so noch nirgends zuvor gehört – auch wenn Sie jetzt müde abwinken werden und „Jazz- HipHop“ als Trend von vorvorgestern ohnehin längst zu den Akten gelegt haben. Und auch wenn die Zutaten im Prinzip die selben sind: Jazz, HipHop und Pop, alle mit allen – Me'Shell NdegeOcello mit Herbie Hancock, MC Solaar mit Ron Carter, US3 mit Joshua Redman, Digable Planets mit Lester Bowie, The Roots mit Roy Ayers, The Watts Prophets mit Don Cherry, The Last Poets mit Pharoah Sanders.
Das fünfte CD-Projekt der Red- Hot-Organization, betitelt „Stolen Moments: Red, Hot & Cool“, ist ein Konzeptalbum, das nachträglich den Standard setzt für ein pop- modisches Nebengleis, welches bis dato eigentlich nur aus Entgleisungen bestand. Jeder Zug, der bislang in Richtung Jazz-HipHop startete, verendete irgendwo auf der Strecke – während die Kritiker auf großen Bahnhof machten. Wer kann heute noch – sagen wir – Greg Osbys Vorjahres-CD „3-D Lifestyles“ in den Player schieben, ohne über das schnelle Altern zu grübeln, und wer hat wirklich erwartet, daß Herbie Hancock mit „Dis is Da Drum“ neue Maßstäbe setzen würde?
Wenn „Stolen Moments“ genau das tut, so nicht zuletzt, weil die Liaison von Jazz und Pop hier nicht vor ihrer eigenen Konsequenz erschrickt.
In einem Interview mit der amerikanischen Zeitschrift Jazz Times beschreibt der Produzent John Carlin das Projekt als „Jazz-Album für die HipHop-Generation“, das vor allem auf Breitenwirkung zielt und Jazz- genauso wie HipHop-Hörer ansprechen soll. „Es geht hier um Popkultur, nicht um avantgardistische Experimente“, so Carlin, „es ist eine sehr ungewöhnliche Popplatte. Wenn sie erfolgreich werden sollte, dann deshalb, weil wir wirkliche Popelemente dabeihaben – wie Me'Shells Titel ,Nocturnal Sunshine‘, Pharcydes ,The Rubber Song‘ und Michael Frantis ,Positive‘.“
Und für keinen schlechten Zweck ist es auch noch. Bei den Red-Hot-Projekten verzichten die Künstler auf ihre Gagen, der Erlös geht an Aids-Hilfsorganisationen.
Von den Einnahmen der vorhergehenden CD „Red, Hot & Blue“ flossen mehr als vier Millionen Dollar in die Aidshilfe. Mit dem aktuellen Album will Carlin vor allem auch schwarze Jugendliche ansprechen, „die sonst eigentlich als unerreichbar gelten“.
Er zitiert aktuelle Statistiken, die angeben, daß die HIV-Infektion unter Afroamerikanern fünfmal schneller gestiegen ist, als bei allen anderen ethnischen Gruppen in Amerika. „Aids ist eine vermeidbare Krankheit, und die einzige Möglichkeit der Prävention besteht darin, sich das bewußt zu machen und seine Sexualgewohnheiten entsprechend zu ändern. Safer Sex zu praktizieren ist einfacher gesagt, als getan.“
Der weiße Langbart des Saxophonisten Pharoah Sanders ziert das CD-Cover. Seine Mitwirkung und drei Worte auf der Booklet- Rückseite bringen die Message des hundertminütigen CD-Packs auf den Punkt: Kiss your mind! Christian Broecking
Various Artists: „Red, Hot & Cool“.
Impulse/GRP.
Auch gerade bei Impulse/GRP erschienen: „Red, Hot & Country“, Aids-Awareness mit Crosby & Nash, Johnny Cash, Dolly Parton u.v.a.
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