piwik no script img

■ Das PortraitVogel des Jahres

Spitzen Sie den Mund, beginnen Sie mit einem rhythmischen „Tschuk-tschuk- tschuk“, schieben Sie ein langsames „Dü-dü-dü“ dazwischen, das Sie unaufhaltsam bis zum Crescendo steigern. Sie trällern wie eine Nachtigall. Na ja, fast.

Niemand tönt so angenehm und abwechslungsreich wie die Luscinia megarhynchos – behaupten die, denen der zimtbraune Vogel schon einmal zu Ohren gekommen ist. Das ist immer seltener der Fall. In Wäldern rund um Flüsse und Seen versteckt sich der 17 Zentimeter lange Erdsänger, um im verborgenen zu brüten und sein Repertoire zu üben. Nur das Männchen singt; von ihm lernt die kleine Brut, die einen Grundstock an Trillern beherrscht, die Feinheiten des Schlagens. Doch die Auen verschwinden, mit ihnen Laubbäume und dichtes Buschwerk, und die Parks und Gärten sind so klinisch ordentlich, daß der Vogel auf diesen Wohnort dankend verzichtet. Auch der Bundesverkehrswegeplan und der Ausbau der Wasserstraßen bekommen ihm nicht gut.

Noch ist die Nachtigall nicht dramatisch bedroht — 95.000 Paare leben in Deutschland —, aber sie läßt kontinuierlich Federn.

Die Nachtigall Foto: AP

„Die Nachtigall, sie war entfernt, / Der Frühling lockt sie wieder; / Was Neues hat sie nicht gelernt, / Singt alte, liebe Lieder.“

Damit das auch nach Goethe noch jemand behaupten kann, wurde die Nachtigall zum Pieper des Jahres 1995 gewählt. Vom Naturschutzbund Deutschland und dem Landesbund für Vogelschutz Bayern. Mit dieser Entscheidung wollen die Tierschützer vorsorgen – bevor die Nachtigallen als bundesweit gefährdete Tiere auf der roten Listen landen.

Die scheuen Sänger geben nicht etwa nur nachts, sondern auch tags ihr Können zum Besten. Sind dabei allerdings selten zu sehen. Um so häufiger sind sie lyrisches und literarisches Objekt. „Nachtigall, ich hör dich singen, / Das Herz möcht mir im Leib zerspringen“ (Des Knaben Wunderhorn). Seit der Antike gilt das virtuose Geträller als gutes Omen. Es soll die Schmerzen der Leidenden lindern und den Sterbenden einen sanften Tod verheißen. Verliebte benutzen die Nachtigall nicht nur als Wecker („It was the nightingale and not the lark“), sondern auch als Vertraute und Botin.

Und wenn die Kampagne der Vogelschützer Erfolg hat, können wir auch weiterhin, statt den sprichwörtlichen Braten zu riechen, die „Nachtijall trapsen hören“. Bascha Mika

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen