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„Gestern der Laden, morgen Du“

■ Morddrohungen und Politik der Scherben: Viertel-Schlachter werden gezielt terrorisiert

Viertel-Schlachter leben gefährlich. Was sich unmittelbar nach den Silvesterkrawallen schon angedeutet hatte, das wird immer mehr zur Gewißheit: Es waren vor allem die Fleischerläden im Ostertor und im Steintor, die zum neuen Jahr die Glaser bestellen mußten. Im Schutz der Nacht und der feiernden Menge hat sich offenbar eine Gruppe von Hard-Core-VegetarierInnen auf den Weg gemacht, speziell dieses Gewerbe zu ruinieren. Bei mindestens vier Läden gingen die Scheiben zu Bruch. Ein Laden wurde komplett zerstört. Und Ökoschlachter Groth vom Sielwall kriegte am Tag danach noch einen netten Anruf: „Gestern war es Dein Laden, bald bist Du dran.“

Alle bis auf einen Schlachter im Viertel wurden in dieser Nacht heimgesucht. Eine merkwürdige Häufung bei einer Branche. Merkwürdigkeit Nummer zwei: Während im Ostertor mehrere Läden, Papierwarenhändler und Bäcker zum Beispiel, demoliert wurden, waren es im Steintor nur zwei – Schlachter. Da wird mit dem Bekenneranruf bei Groth die Merkwürdigkeit zur Gewißheit.

Tatort Ostertorsteinweg: Mitten im Getümmel klirrten in der Silvesternacht die Scheiben, die vom alteingesessenen Schlachter Eckel. „Die Scherben sind bis hinter die Theke geflogen“, sagte die Schlachtersfrau am Tag danach. Und der Schlachter dachte laut darüber nach, seinen Laden aufzugeben. Dabei sind Eckels noch vergleichsweise glimpflich davongekommen.

Mehr Glasbruch gab es ein paar hundert Meter weiter. Tatort Vor dem Steintor: Bei der Fleischerei Safft zersplitterten drei Schaufensterscheiben, und die Thekenscheiben wurden gleich mitgetroffen. Damit nicht genug: Beim Transporter des Schlachters wurden die Reifen zerstochen und der Kühlergrill mit Bauschaum dichtgesprüht. „Der Sachschaden ist schon ärgerlich genug“, schimpfte gestern Volker Safft. „Aber irgendwie macht einen das ja auch persönlich betroffen. Wenn man die Reihe so sieht: Das war gezielt.“

Tatort Feldstraße, weitab vom Schuß, gegen halb vier morgens: Dicke Wackersteine flogen in die Schaufensterscheibe und die Tür der kleinen Fleischerei mitten im ruhigsten Wohngebiet. „Wir waren gerade nach Hause gekommen, und hier war nichts los auf der Straße“, sagt die Besitzerin des Ladens, die seit mittlerweile 30 Jahren hinter dem Tresen steht. Sofort hat sie das Licht im Laden angeknipst – da waren die TäterInnen aber schon verschwunden. Trotz der Verwüstungen bei ihren KollegInnen will sie nicht so recht daran glauben, daß auch sie Opfer einer gezielten Aktion geworden ist. So oder so, für die kleine Fleischerei könnte der Silvesterschlag tödlich gewesen sein. Die Geschäfte gehen nicht mehr besonders in der Branche, schon gar nicht bei den kleinen Läden. Rund 7.000 Mark nur für das Schaufenster, und dann kommen möglicherweise noch Auflagen von der Versicherung dazu. Die Fleischerin: „10.000 Mark für einen Rolladen – ich frag mich, ob ich das noch investieren soll.“

Am schlimmsten hat es in der Nacht allerdings einen getroffen, der nicht zum ersten mal Ziel der wütenden Atacken von durchgeknallten SchlachterhasserInnen war. Tatort Sielwall, dort hat Ökoschlachter Matthias Groth seinen Laden. Er hat Erfahrungen mit dem Terror. Über Monate wurde sein Laden immer mal wieder besprüht, die Scheiben seines Autos demoliert, ein Anhänger zerstört – es ging bis zu Morddrohungen am Telefon: „Schlachter, stirb!“ Wie diesmal. Selbst seinem Lehrling haben sie mit dem Tod bedroht. Groth ist das liebste Haßobjekt der paar Handvoll „Fruitarians“, praktiziernde Vegetarier: kein Fleisch sowieso, aber auch keine anderen tierischen Produkte, Lederschuhe inklusive. Meistens handelt es sich dabei um ziemlich junge Leute. „Das war auch eine genz junge Stimme am Telefon“, sagt Groth.

Bei Groth haben sich die AttentäterInnen an Silvester nicht nur damit begnügt, die Schaufensterscheiben und den Tresen zu demolieren. In einer Blitzaktion sind die Krawallistas eingestiegen und haben das komplette Mobiliar zertrümmert: Tresen, Maschinen, Regale – alles, und den Autoanhänger haben sie außerdem in Klump gehauen. Schlachter Groth stand vor einem Trümmerhaufen. Geschätzter Schaden: 35.000 Mark plus Ausfallkosten. Das Geschäft ist vorerst dicht. „Das macht keinen Spaß mehr“, kommentiert Groth. Nun will er Anzeige erstatten. Das hat er bislang nicht getan, auf Anraten des Polizeipräsidiums: „Die haben gesagt, den Schreibkram könnte ich mir sparen.“

Die Informationslage der Polizei ist entsprechend. Erst langsam liefen die Meldungen aus der Silvesternacht ein, sagte ein Polizeisprecher. „Das läßt sich noch nicht analysieren.“ Jochen Grabler

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