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Laut Protokoll Gelächter in der Männerrunde

■ Der Fall Biermann: Der Verband deutscher Schriftsteller stellt sich seiner Vergangenheit

„Was geht's mich an“, ließ Wolf Biermann im Oktober 1992 via Spiegel verlauten, als sich die Geschichtskommission des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) mit der Ausbürgerung Biermanns von 1976 beschäftigte. Nach wie vor ist die Politik des VS gegenüber der DDR ein wunder Punkt in der Geschichte des Verbandes. Die Protagonisten von damals werden mit dem Vorwurf konfrontiert, blauäugig den Kontakt zum DDR-Verband gefördert und alle Kritiker in den eigenen Reihen (die zumeist aus der DDR kamen) als Entspannungsfeinde denunziert zu haben. 1991 beschloß der VS auf seiner Tagung in Travemünde, eine Kommission zu bilden, „um die Verstrickung der Verbände in die politischen Schlachten des Kalten Krieges“ offenzulegen. Wie es aussieht, wenn Schriftsteller mit Schriftstellern über die gemeinsame Vergangenheit reden, kann man jetzt in der gerade erschienenen Publikation „Die Biermann-Ausbürgerung und die Schriftsteller. Ein deutsch- deutscher Fall“ nachlesen.

Die Dokumentation besteht aus Gesprächs- und Diskussionsprotokollen, die überwiegend Zeugnisse eines erschreckenden Starrsinns der einstigen Amtsträger in Ost und West enthalten. Nicht nur Höpcke oder Kant, sondern auch die Verantwortlichen im Westen, Lattmann etwa oder Bleuel und Engelmann, sehen nichts Verwerfliches an ihrem Tun und Lassen von damals. Freilich gehört es zu den Nachteilen einer solchen innerfamiliären Geschichtsaufarbeitung, daß eine ernsthaft kritische Stellung zur Vergangenheit kaum zustande kommt, da keiner dem anderen wehtun möchte. Kein Tribunal sollte veranstaltet werden, schreibt Till Sailer im Vorwort des Bandes. Damit nun war von Anfang an nicht zu rechnen; daß es dennoch betont wird, macht deutlich, mit welcher Zaghaftigkeit die dunklen Flecken in der Geschichte des Verbandes und einzelner Mitglieder ausgeleuchtet werden sollten.

Festzuhalten ist: Unmittelbar nach der Ausbürgerung Biermanns solidarisierten sich maßgebliche Teile des VS öffentlich mit dem Liedermacher. Doch

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schon wenig später distanzierten sich einige Unterzeichner, unter ihnen der VS-Funktionär Peter O. Chotjewitz und der damalige Hamburger VS-Schriftführer und DKP-Politiker Peter Schütt, von dieser Solidaritätserklärung. Zu jener Zeit gab es sowohl in der IG Druck und Papier als auch im VS selbst auf den unterschiedlichen Ebenen personelle Überschneidungen mit der DKP bzw. der SEW. Aber nicht nur davon war das politische Klima im Verband bestimmt, sondern auch von den Grabenkämpfen des Kalten Krieges, von der Denunziation der Schriftsteller als „Pinscher“ und als RAF-Sympathisanten.

Der VS, der im eigenen Staat die Stimme der Entrechteten und Unterprivilegierten verstärken wollte, suchte in der DDR indes Kontakt zu den Mächtigen, nicht zu den Unterdrückten. Geltungsdrang und politischer Entspannungsehrgeiz der VS-Funktionäre, womöglich auch die Vorstellung von der DDR als einer Alternative zum bundesdeutschen Staat, ließen das Interesse an den Erfahrungen der aus der DDR Ausgestoßenen gering bleiben. So war für einige Schriftsteller im VS und ihr Sozialismus-Bild die Existenz eines Unterdrückungsapparates in der DDR nicht so störend wie vielmehr die Tatsache, daß die aus dem Osten emigrierten Kollegen über ihre Repressionserfahrungen im DDR-Staat nicht schweigen wollten.

Das alles spielt in den Erinnerungen der Runde ehemaliger und heutiger VS-Funktionsträger, die sich in der Wohnung von Dieter Lattmann versammelt haben, keine so große Rolle. Hier gilt im Zweifelsfalle der Generalpardon, daß sich alles in Zeiten des Kalten Krieges abgespielt habe. Was um so mehr verwundert, als ständig von Friedensresolutionen die Rede ist, die in zähen Verhandlungen der DDR-Seite abgetrotzt worden seien. Während VS-Chef Bleuel, ein Sachbuchautor aus der zweiten Reihe, mit Hermann Kant über einen Friedensappell verhandelte, der an die Regierungshäupter der Welt verschickt werden sollte, blieben die Emigranten im VS politisch sprachlos. So berichtet Bleuel von einem Treffen mit Kant 1983 in Kiel, als Erich Loest ankündigte, er werde das Thema Menschenrechte in der DDR bei den Gesprächen nicht aussparen. Als ruchbar wurde, daß Kant sich darauf nicht einlassen wolle, gab Bleuel ohne Wissen Loests dessen Text Kant zu lesen und vereinbarte mit dem DDR-Vertreter einen Modus, der es Kant ersparte, die Vorwürfe von Loest anhören zu müssen. Bleuel findet noch heute kein Wort der Entschuldigung für diese Kungelei. Im Gegenteil, im nachhinein verhöhnt er Loest, er habe bei anderer Gelegenheit auf Kant „irgendwie wie das Kaninchen auf die Schlange“ geguckt.

Auch sonst wirft das Protokoll der Zusammenkunft in Lattmanns Wohnung kein günstiges Licht auf die Anwesenden. Als die Rede auf Lenelotte von Bothmer kommt, bemerkt Lattmann: „Die erste Frau im Hosenanzug im Deutschen Bundestag!“ Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle „Gelächter“ in der bayerischen Männerrunde. Zu Gerhard Henniger, Erstem Sekretär des DDR-Verbandes und einer der ideologischen Scharfmacher, fällt Friedrich Hitzer ein: „Er schuldet mir noch einen Kasten Bier.“

Weniger privat-gemütlich, sondern eher tumultuös ging es auf der anderen dokumentierten Veranstaltung in Berlin zu. Teilnehmer dieser Diskussion waren unter anderen Klaus Höpcke, im DDR- Kulturministerium für Literatur zuständig, und Hermann Kant, langjähriger Chef des DDR-Verbandes. Daß die beiden Politprofis (Höpcke sitzt inzwischen wieder im thüringischen Landtag) das Podium zur eloquenten Selbstdarstellung nutzen würden, war nicht anders zu erwarten. Aber die Unverfrorenheit, mit der besonders Kant sich als erfolgreicher Vermittler zwischen zwei Extrempositionen in Szene setzte, als Schlichter zwischen den Interessen des Staats und denen der Schriftsteller, hat denn doch einigen Protest im Publikum provoziert. Streckenweise nahm Kant sogar die Moderation der Veranstaltung in die Hand und kanzelte wie eh und je unliebsame Fragesteller mit rhetorischen Eskapaden ab.

Allein in den nicht-öffentlichen Gesprächen mit Zeitzeugen jener Jahre nach Biermanns Ausbürgerung ist etwas von der Nachdenklichkeit zu spüren, die den Teilnehmern in den anderen Veranstaltungen abgeht. Die damaligen Perspektiven der westdeutschen Linken und der ausgewiesenen Ost- Autoren kommen jedoch an keiner Stelle zur Deckung: „Für mich war die SED keine progressive Partei, sie war für mich rechts von der CDU und nicht links davon. [...] Mit dem Vorwurf des Antikommunismus wurde fast jede Kritik an den Verhältnissen in der DDR abgewürgt“, beschreibt der Autor Wolf Deinert seine Probleme, sich nach dem Freikauf aus DDR-Haft in der bundesdeutschen linken Autorenszene zu integrieren. Andersherum gab es – nicht so sehr in West-Berlin, aber in Westdeutschland – die Neigung, das Schicksal der Autoren aus dem Osten zu verdrängen. Renate Chotjewitz-Häfner bilanziert: „Mit ihren beschädigten Lebensläufen störten sie das westdeutsche linke Wunschbild einer ,fortschrittlichen‘ DDR als Gegenentwurf zum ,Repressionsstaat‘ BRD.“

Ob die im Band dokumentierten Bemühungen der Geschichtskommission im VS tatsächlich dazu beigetragen haben, „die eigenen Probleme aus eigenem Antrieb und aus den eigenen Reihen heraus zu klären“, wie es im Vorwort heißt, darf nach Lektüre der Protokolle bezweifelt werden. Zugleich aber wird man respektieren müssen, daß zumindest ein Versuch in diese Richtung unternommen wurde. In Zeiten wachsender Geschichtsmüdigkeit und Aktenüberdrusses ist das schon viel. Peter Walther

„Die Biermann-Ausbürgerung und die Schriftsteller. Ein deutsch- deutscher Fall.“ Hrsg. von Renate Chotjewitz-Häfner u.a., Verlag Wissen und Politik, Köln 1994, 280 Seiten, 16.80 DM

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