Wachsende Deinvest-Bewegung: Mein Geld? Nicht für Kohle!

Die Deinvestbewegung entzieht dem Geschäft mit Öl das Kapital. Mancherorts machen Kirchen und Städte mit.

Rauch steigt aus dem RWE-Braunkohle Kraftwerk Neurath II. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Ob Angela Merkel den schwarzen Fleck auf dem roten Teppich vorm Berliner Congress Center bemerkt hat, ist nicht überliefert. Den hatten Michalina Golinczak und Julian Genten mit einem ausgekippten Kohleeimer verursacht, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen: Statt zum UN-Klimagipfel nach New York zu reisen, hatte es die Kanzlerin am 23. September 2014 vorgezogen, beim Tag der Deutschen Industrie aufzutreten. Einer der Sponsoren dieser Veranstaltung war ExxonMobil.

Der US-Ölkonzern mit einem Börsenwert von 414 Milliarden Dollar ist der größte Klimakiller auf dem Globus. Die beiden jungen Leute gehören zu einer der am rasantesten wachsenden Bewegungen weltweit: „Gofossilfree“. Neben mehr oder weniger spektakulären Aktionen geht es vor allem darum, öffentliche Institutionen dazu zu bewegen, ihr Geld aus Öl- und Kohlekonzernen abzuziehen. Das Stichwort lautet: Divestment.

Michalina Golinczak und ihre bisher acht Mitstreiter in Berlin haben die drei Universitäten der Hauptstadt angeschrieben und Informationen darüber verlangt, wie und wo diese ihr Geld investiert haben. Manche Hochschulen arbeiten mit Sparkassen zusammen, wissen sie inzwischen – und die sind mit 400 Millionen an Konzernen beteiligt, die ihr Geld mit fossilen Energien verdienen. Da wollen sie nun ansetzen. „Endlich gibt es einen Hebel, der uns ermöglicht, konkret und vor Ort etwas zu tun gegen diejenigen, die den Klimawandel verursachen“, sagt die 29-jährige Golinczak, die sich seit ihrer Jugend für das Thema engagiert.

In sechs deutschen Uni-Städten haben sich inzwischen Deinvest-Aktivisten zusammengetan: Freiburg, Konstanz, Stuttgart, Heidelberg, Münster und Berlin. Noch gibt es hierzulande keinen konkreten Erfolg zu vermelden. Doch das sei nur eine Frage der Zeit, ist Tine Langkamp überzeugt, die seit Anfang des Jahres für die Fossilfree-Kampagne in Deutschland arbeitet.

Rockefeller-Stiftung nun klimafreundlich?

Schließlich haben in anderen Ländern bereits fast 200 Kirchen, Pensionsfonds, Universitäten, Stadtverwaltungen und Unternehmen rund 50 Milliarden Dollar aus Öl-, Gas und Kohleunternehmen abgezogen. Einen Tag, bevor Angela Merkel auf dem von Exxon finanzierten Kongress auftrat, kündigte die Rockefeller-Stiftung in New York an, die Finanzierung der fossilen Industrie aufzugeben. Ausgerechnet der Clan, dessen Name wie kein anderer mit dem schwarzen Gold verbunden ist, will sein 860-Millionen-Dollar-Vermögen künftig nur noch klimafreundlich anlegen. Und begründete das sowohl moralisch als auch wirtschaftlich.

Begonnen hat alles vor drei Jahren in den USA. Damals forderten ein paar Studierende ihre Hochschulleitungen auf, sich nicht mehr finanziell an Konzernen wie Exxon und BP zu beteiligen und auch die Kooperation mit Banken und Fonds daraufhin zu überprüfen. Schon ein Jahr später stieg die Klimaschutzorganisation 350.org ein und die Sache nahm rasant an Fahrt auf. Innerhalb nur eines Jahres gründeten sich 500 Initiativen. Schließlich ist die Rechnung, die 350.org-Gründer Bill McKibben aufmacht, ebenso simpel wie einleuchtend: Will die Menschheit die Klimaerwärmung auf maximal zwei Grad beschränken, darf sie bis Mitte des Jahrhunderts nur noch 565 Gigatonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen.

So haben es Wissenschaftler vor dem Klimagipfel 2009 in Kopenhagen ausgerechnet. Doch die bereits entdeckten, noch in der Erde lagernden Öl-, Gas- und Kohlevorräte mit einem derzeitigen Marktwert von 21 Billionen Euro, enthalten zusammen 2.795 Gigatonnen Kohlendioxid. Im Klartext heißt das: Entweder bleiben die Bodenschätze zu 80 Prozent unter der Erde. Dann müssen die 200 internationalen Kohle-, Öl und Gasunternehmen etwa 17 Billionen Euro der in den Bilanzen längst einkalkulierten Gewinne abschreiben. Oder: Das Treibhaus Erde wird so stark angeheizt, dass der Lebensraum von Milliarden Menschen vernichtet wird.

Der Name von 350.org basiert auf der Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre, die die Wissenschaft langfristig als akzeptabel für die Atmosphäre einschätzt: 350 von je einer Million Molekülen. McKibben und seine Organisation haben dieses Jahr den alternativen Nobelpreis bekommen. Vorbild für ihre Deinvest-Kampagne ist ein ähnliches Vorgehen gegen die Apartheid in Südafrika. Bei deren Abschaffung hatte der Abzug internationaler Gelder eine entschei dende Rolle gespielt. Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu aus Johannesburg ist denn auch einer der wichtigsten Unterstützer der aktuellen Klimaschutzkampagne.

Unifinanzierung durch fossile Beteiligungen

Zunächst standen vor allem Hochschulen im Fokus der Aktivitäten. Die sind in den USA zum Teil sehr reich und finanzieren sich zu einem erheblichen Teil aus Studiengebühren. Durchschnittlich zwei bis drei Prozent ihres Vermögens stecken in der Fossilindustrie, schätzt der Wirtschaftsinformationsdienst Bloomberg, zusammengerechnet knapp zehn Milliarden Dollar.

Während sich das Management der Eliteuniversität Harvard bisher noch weigert, das 30-Milliarden-Dollar-Vermögen nach klimaschädlichen Investitionen zu durchforsten, hat die ebenfalls sehr renommierte Stanford-Universität bereits damit angefangen. Im Oktober 2014 schloss sich auch die Uni Glasgow als erste europäische Hochschule an, nachdem sich über 1.300 Studierende an einer einjährigen Kampagne beteiligt hatten.

Die schwedische Kirche, die knapp 700 Millionen Dollar besitzt, hat inzwischen den Abschied von Ölkonzernaktien verkündet. Genauso das kalifornische San Francisco oder das holländische 30.000-Einwohner-Städtchen Boxtel. Das gibt Auftrieb für Aktivisten an anderen Orten.

Die Stadtpolitiker in Kopenhagen sehen sich nun mit der Forderung konfrontiert, die Beteiligungen an Shell, Statoil, ExxonMobil, Gazprom und RWE zu veräußern – schließlich hat die dänische Hauptstadt vollmundig angekündigt, 2025 die weltweit erste CO2-freie Hauptstadt sein zu wollen. Etwa ein Prozent der Stadtfinanzen stecken heute in fossilen Beteiligungen. Die Daten hat die Organisation DanWatch recherchiert. In Deutschland erweist sich vor allem Urgewald als überaus kundig, wenn es um die Verflechtung von Banken, Kohlekonzernen und anderen fossilen Unternehmen geht.

Essen verlor 680 Millionen Euro

Die Konzentration sowohl in der Öl und Gasindustrie als auch in dem wesentlich kleineren Kohlesektor ist enorm. Etwa 200 Firmen weltweit sind hier engagiert. Auch die Zahl der wichtigen Finanziers ist überschaubar. Mit Abstand der größte ist mit etwa 140 Milliarden Dollar der Vermögensverwalter BlackRock in New York.

Die russische, kolumbianische und norwegische Regierung zählen ebenfalls zu den Top-5 beim Öl- und Gasinvestment. Damit wird der finanzielle Einfluss der Fossilfree-Kampagne zwar absehbar erst einmal begrenzt bleiben. Doch wie es laufen kann, wenn man die Zeichen der Zeit verschläft, müssen der Stromkonzern RWE und seine Anteilseigner gerade schmerzhaft erfahren.

Kostete die Aktie vor sechs Jahren noch 100 Euro, so dümpelt sie jetzt bei 29 Euro: Statt auf Erneuerbare Energien zu setzen, hatte RWE immer neue Kohle- und Gaskraftwerke gebaut. Allein die Stadt Essen verlor dadurch 680 Millionen Euro. Wäre sie früher ausgestiegen, ginge es ihr heute deutlich besser.

Bei der letzten RWE-Hauptversammlung gelang es Molina Gosch aus der Gofossilfree- Gruppe in Münster, einen Protestbanner in den Saal zu schmuggeln, obwohl der Sicherheitsdienst alle Besucher so intensiv wie am Flughafen gefilzt hatte. Sie hatte das bemalte Laken unter ihrem Kleid versteckt. „So was hatte ich noch nie getan – und es hat großen Spaß gemacht“, berichtet die 30-Jährige.

Hunderttausende fühlen sich plötzlich nicht mehr ohnmächtig gegenüber den Energieriesen – und sie sind überzeugt, endlich eine Waffe gegen die klimazerstörenden Goliaths gefunden zu haben. Schon in 162 Ländern gibt es Unterstützer – und mit jeder Deinvest-Ankündigung einer Organisation werden es mehr.

Annette Jensen, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 1/2015. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.