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Aufschlußreich

■ betr.: „Hrdlickas Figur, ein Kom mentar“, taz vom 29.12.94

Die Auseinandersetzung um Biermann/Hrdlicka ist keineswegs so uninteressant, wie Mariam Niroumand behauptet, sondern gerade in bezug auf die von ihr aufgeworfenen Fragen und die Art und Weise, wie sie verfährt, aufschlußreich.

Verdeutlichte die Kritik an Hrdlickas Invektive gegen Biermann doch sehr „zeitgeistig“, daß jede Äußerung heute wörtlich genommen wird und sich keiner mehr der Mühe unterzieht, sie im entsprechenden Kontext zu interpretieren. Wie deplaziert, mißglückt und unentschuldbar auch immer, so ist die Äußerung Hrdlickas nicht nur als konjunktivistische Wendung kaum mißzuverstehen, sondern offenbart auch die Vorliebe des Künstlers für „starke“ Bilder. Genau hierin liegt der Bezugspunkt zu seiner Kunstauffassung, wie sie sich in dem fraglichen Memorial manifestiert.

Dieses ist ganz im Sinne traditioneller Ästhetik als „Symbol“ aufzufassen, das heißt als Versinnbildlichung eines Allgemeinen durch eine ausgewählte oder typische Situation. Niroumands Behauptung, Hrdlickas Werk stelle den „Einzelfall“ dar und verschließe sich gegenüber dem Allgemeinen, ist daher grundfalsch. So gesehen ist auch Hrdlickas Vergleich mit Michelangelo keineswegs „unbescheiden“, sondern als ein Hinweis zu verstehen, in welcher ästhetischen Tradition sein Werk anzusiedeln ist. Wieder begeht Niroumand den Denkfehler, Hrdlickas Äußerung beim Wort zu nehmen, anstatt diese im Kontext zu beurteilen.

Berechtigt ist jedoch in der Tat die Frage – und nur so scheint sie mir richtig gestellt – ob die Auffassung und Mittel herkömmlicher Ästhetik vermögen, das bildlich nicht faßbare Greuel der Deportation der Juden „darzustellen“ oder ob nicht die schlichte, bilderlose Dokumentation der Namen der Deportierten – gerade aufgrund des fragmentarischen und allegorischen Charakters einer solchen Dokumentation – „angemessener“ ist.

Der Diskussion dieser Problematik kann sich Hrdlicka nicht entziehen. Seine Anspielung auf Michelangelo drückt daher meines Erachtens auch ein Unverständnis dieser Problematik gegenüber aus, das ihn und sein Werk nicht moralisch diskreditiert, aber die Grenzen seiner ästhetischen Konzeption bewußt macht. Georg Koch-Jaffé, München

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