: Gute Zeiten für die taz
■ 1994 war die taz erfolgreich. 1995 wird sie es noch mehr sein müssen.
Kein Superwahljahr, keine Olympiade, nicht einmal eine Revolution. Dafür Kriege auf dem Balkan, im Kaukasus, in Afrika und Asien. Und bald gehen die Deutschen wieder an die Front. Natürlich diesmal für einen guten Zweck. Aber auch das sind Lernprozesse mit tödlichem Ausgang. Nach fünfzig Jahren wird es wieder einen Generalstab geben, und deutsche Außenpolitik wird wieder undenkbar sein ohne Militärpolitik. Es ist das Normalste von der Welt, aber wir hatten uns gut daran gewöhnt, ohne diese Normalität auszukommen. Damit ist jetzt Schluß, und wie man aus diesem Bösen das Beste macht, weiß keiner. Auch wir nicht. Das Schlimmste aber wäre, davor einfach die Augen zu schließen und so zu tun, als hätte sich nichts geändert.
Wo bleibt das Positive? Es wird einen Kanzlersturz geben. Noch vor dem Mai 1996. Ein kurzer Moment, in dem es aufgeregt zugehen wird, und dann? Die Große Koalition. Was sonst? Spannende Zeiten für die außerparlamentarische Opposition. Also auch für die taz. Der Konflikt zwischen denen, die das Sagen haben und denen, die etwas sagen wollen, wird schärfer werden. Eine gute Zeit für Zeitungen, die noch wissen, wofür sie da sind. Schäuble und Schily gleichzeitig auf die Finger zu sehen ist kein leichter Job, aber genau darin besteht doch unsere Arbeit und unser Vergnügen.
Je mehr Spaß wir an unserer Arbeit haben, desto mehr haben ihn die LeserInnen an unserer Zeitung. Je weniger wir lamentieren, desto mehr aktivieren wir. Man liest die taz nicht, weil man sich ärgern will über die Ungerechtigkeiten dieser Welt, sondern weil man eine Chance sieht, mit ihr mit ihnen besser fertig zu werden.
Die taz wird weiter nicht die Zeitung der einfachen Antworten sein. Denen gegenüber sind wir mißtrauisch. Auch wenn sie von unseren Freunden kommen.
Die taz hat immer die eine und die andere Seite zu Worte kommen und sich dafür von beiden beschimpfen lassen. Sie weiß: niemand kann sich eine Meinung bilden, wenn er nicht auch die andere gehört hat. Die taz kaut nicht vor. Sie setzt einzig und allein auf Neugierde und Intelligenz ihrer LeserInnen. Auch 1995.
Arno Widmann
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