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Hinrichtung im Ausländerwohnheim

■ Vietnamese von drei Maskierten erschossen / Immer mehr Morde durch die Zigarettensyndikate / Brutale Methoden

Einer regelrechten Hinrichtung fiel am Wochenende der 22jährige Thai Van Huong zum Opfer. Der Vietnamese, so berichteten Augenzeugen der Tat, saß am Samstag abend mit sechs seiner Landsleute im Ausländerwohnheim Gehrenseestraße vor dem Fernseher, als plötzlich drei Maskierte den Raum betraten und ihn wortlos in Oberkörper und Kopf schossen. Die Täter gingen anschließend noch einmal nah an ihr Opfer heran, um zu sehen, ob es auch wirklich tot war. Dann flüchteten sie unerkannt. Die anderen Vietnamesen wurden nicht verletzt. Als Hintergrund der Tat vermutet die Kripo eine Auseinandersetzung im Bereich des organisierten Handels mit unverzollten Zigaretten.

Hinrichtungsaktionen wie diese waren bereits im vergangenen Jahr keine Seltenheit: Besonders spektakulär erscheint dabei der Fall Hung Quoc D. Dieser wurde im Mai 1993 in der Hohenschönhausener Gehrenseestraße vor den Augen der Anwohner aus einem Auto gezerrt und in ein nahe gelegenes Ausländerwohnheim verschleppt. Dort wurde er mit Axt- und Säbelhieben derart traktiert, daß er wenig später starb. „Allein im Wohnheim Gehrenseestraße sind seit Herbst vier Menschen kaltblütig ermordet worden“, berichtet Hans Holm von der Bürgerinitiative Ausländische MitbürgerInnen in Hohenschönhausen e.V.

In den Ausländerwohnheimen in der Gehrensee- und der Wollenbergstraße leben offiziell etwa 1.000 meist vietnamesische Asylbewerber. Da sie von den deutschen Behörden keine Arbeitserlaubnis erhalten, leben viele vom Handel unverzollter Zigaretten, der von internationalen Kartellen kontrolliert wird. Die Vietnamesen, die beispielsweise vor Supermärkten stehen, bilden nur das Ende einer Vertriebskette, deren Struktur beträchtlich an die der Mafia erinnert. Beim Verdienst bleibt den Zigarettenverkäufern ein kümmerlicher Rest: fünf Mark pro Stange. Daneben müssen sie Schutzgeldgebühren in Höhe von monatlich 2.000 bis 5.000 Mark, je nach Stellplatz und Publikumsverkehr, an die Verteilerorganisation entrichten. Zahlt ein vietnamesischer Zigarettenhändler nicht, riskiert er sein Leben. Die verschiedenen Banden führen miteinander Krieg um Einflußsphären.

Daß der Mord an Thai Van Huong aufgeklärt wird, ist nicht zu erwarten. Zu groß ist die Angst der Asylbewerber vor der Rache der Schutzgeldbanden und zu gering ihr Vertrauen in die Polizei. Diese hatte in den vergangenen Jahren immer wieder vietnamesische Zigarettenhändler bestohlen, mißhandelt und eingesperrt. taz

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