: Atemnot in Lippoldsberg
Einschlägiges zu Ostpreußenschlesiensudetenland: Ein Besuch in der rechtsradikalen Provinz ■ Von Micha Haarkötter
In den schmalen Tälern des Weserberglandes kann es einem schon einmal eng werden ums Gemüt. Schon so mancher Touristin, die in das romantische Dorf Lippoldsberg an der Weser kam, um hier eine der ältesten im romanischen Stil erbauten Basiliken zu besichtigen, ist im Klosterhof geradewegs die Luft weggeblieben: Denn im Eckgebäude des ausgebauten Kreuzganges der ehemaligen Benediktinerinnenabtei liegt ein kleiner Buchladen, dessen Schaufensterauslagen nicht nur sensiblen Gemütern davon künden, daß hier der Geist ganz rechts am Schreibtisch tätig wurde: Warnungen vor den „schmutzigen Geschäften des israelischen Geheimdienstes“ stehen da neben Politschmonzetten des österreichischen Rechtsextremisten Jörg Haider, Buchtiteln wie „Die gegängelte Nation“, Ratgebern zur „Ausländerkriminalität: Legenden und Fakten zu einem Tabu“ oder „Chaos Asyl“ und Bildbänden über Ostpreußenschlesiensudetenland.
Pfarrer Erich Klugescheid weiß von vielen Einträgen ins Gästebuch der Kirche zu berichten, in denen BesucherInnen ihrer Entrüstung Raum gegeben hätten. Doch distanziert der Pfarrer sich und seine Kirche vehement von der Verlagsbuchhandlung mit dem mißverständlichen Namen „Klosterhaus-Verlag“.
Betreiberin des Geschäftes ist eine 76jährige Dame namens Holle Grimm. Buchladen und Verlag, einst von ihrem Vater gegründet, betreibt sie seit mehr als dreißig Jahren. Den Verlag betreibt sie mit dem einzigen Ziel, die gesammelten Schriften ihres Vaters weiter zu veröffentlichen. Eigentliches wirtschaftliches Standbein der Unternehmung ist aber nicht der kleine, dörfliche Verlagsbuchladen, sondern ein Versandhandel mit Kunden in ganz Deutschland. Über dreitausend Adressen zählt Holle Grimm heute in ihrer Kartei. Und trotz ihres vorgerückten Alters expandiert die 76jährige weiter: Erst kürzlich habe sie von einem gleichgesinnten Versand 500 neue Adressen erwerben können.
Kunden und anderem Volk in ihrem Laden gegenüber hält sie mit ihren Anschauungen nicht hinterm Berg. Es sei doch offensichtlich, daß sie „keine Linke“ sei: „Aber warum muß denn in der Öffentlichkeit jeder, der rechts ist, gleich ein Rechtsradikaler sein?“ Ihr Versandkatalog bietet allerdings an einschlägiger Literatur alles, das des Rechtsradikalen Herz höher schlagen läßt: Nolte und Zitelmann, Schirinowski und von Thadden, Arno Brekers Schriften, Hitlers Tischgespräche – und mitten in diese gemischte Gesellschaft werden von der Buchhändlerin auch Gertrud Höhler, Klaus Rainer Röhl, Wolfgang Schäuble, ja und Ulrich Wickert mit seiner Bergpredigt „Über den Verlust der Werte“ eingereiht. Ein Sonderprospekt für Schallplatten und Videokassetten offeriert „Original-Ton-Dokumente“ unter anderem von Goebbels, Göring ung Rudolf Heß. Schließlich wird für das Thema „Wehrkunde“ auf eine eigene Prospektbeilage verwiesen: „Die Pflege der Überlieferung unseres deutschen Soldatentums ist nicht nur Ehrenpflicht, sondern zugleich zwingende Notwendigkeit.“
Holle Grimm gesteht gerne ein, daß es bei ihr auch Titel zu kaufen gebe, die in einer „normalen Buchhandlung“ nicht erhältlich seien. Kunden, die ihre Anschrift nicht preisgeben wollten, kämen oft von weither angereist, um sich bei ihr mit einschlägigem Material einzudecken.
Holle Grimm liest nicht viel. „Das unliterarischste Literatenkind“ tituliert sie sich selbst. Wird sie auf die deutsche Geschichte angesprochen, landet man sehr schnell bei der Frage, ob in Auschwitz Vergasungen stattgefunden haben. Ansonsten verweist sie als ihr politisches Credo auf die Schrift „Warum – Woher – aber Wohin?“, die ihr Vater nach dem Zweiten Weltkrieg in Form von Briefen an seine beiden Kinder verfaßt hat. In diesem Buch ist zu lesen, daß „die Judenfrage trotz allem fortbestehe und mit Toleranz und Kompromissen allein nicht gelöst werden könne und dennoch gelöst werden müsse, wenn die Rettung des ,Abendlandes‘ im biologischen und geistigen Sinne nocn einmal gelingen soll“. Selbstredend wird auch dieses Buch bis heute im Klosterhaus-Verlag vertrieben.
Mit derlei Einsichten und Uneinsichtigkeiten paßt Frau Grimm gut in die „Gesellschaft für freie Publizistik e.V.“, eine Vereinigung von Geschäftstreibenden in Sachen rechter Ideologie, deren Gründungs- und Ehrenmitglied sie ist. In deren Mitteilungsblatt Das Freie Forum, das Frau Grimm stolz präsentiert, gibt es etwa juristische Tips, den Abdruck eines sogenannten „Asylbetrügergedichts“ betreffend, und es werden rechtsextreme Kontakte vermittelt: „Es empfiehlt sich darüber hinaus, Äußerungen zum Thema ,Ausländer in Deutschland‘ (...) von einm Rechtsanwalt auf ihre Strafbarkeit hin überprüfen zu lassen. Wir können Ihnen solche Rechtsanwälte nennen.“
Die Dorfbewohner Lippoldsbergs stören sich, will man Bürgermeister Heusler (SPD) Glauben schenken, nicht an ihrer Nachbarin. Zwar hat auch Heusler den Eindruck, daß „ein Teil des Schriftgutes aus der rechten Ecke“ komme. Beschwerden wollen dem Ortsvorsteher aber noch nie zu Ohren gekommen sein. Die Lippoldsberger selbst, so Heusler, würden die Familie schon deswegen in Ehren halten, weil der Vater, als „einer von ihnen“, es als einer der wenigen im Dorf „zu etwas gebracht“ habe.
Von dieser Ehrerbietung zeugt auch eine Broschüre, die der Klosterhaus-Verlag in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Heimatverein herausgegeben hat und die im Verkehrsamt der Gemeinde ausliegt. Darin wird Holle Grimms Vater dargestellt als „deutscher Suchermensch, der mit der Härte und Unerbittlichkeit (...) seines niederhessischen-niedersächsischen Stammestums den deutschen Wegen nachging“.
Nicht lang suchen muß Pfarrer Klugescheid, um auf Empörung zu stoßen. Nicht nur im Gästebuch der Klosterkirche macht sich der Unwille breit. Im Pfarrhaus, das in unmittelbarer Nachbarschaft zum „Klosterhaus“ liegt, beschweren sich immer wieder Gäste, darunter ehemalige KZ-Opfer und AusländerInnen, deren verletzte Gefühle der Pfarrer gut verstehen kann. Aber: „Es ist doch besser, Frau Grimm stellt ihre Ansichten öffentlich zur Schau, dann weiß man wenigstens, wo man dran ist.“ Und solange keine strafbaren Tatbestände vorlägen, sei der Herr Pfarrer ohnehin darauf bedacht, ein „gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu bewahren“.
Nur Landwirt Fricke fällt die gute Nachbarschaft manchmal schwer. Fricke lebt und arbeitet in seinem landwirtschaftlichen Betrieb auf dem Klosterhof gegenüber der Buchhandlung. Und Holle Grimm betreibt nicht nur das stille Geschäft mit dem Buchhandel, sondern unterhält in dem großen alten Klostergebäude auch das „Europäische Jugendheim Lippoldsberg“, mit dem sie die Vision ihres Vaters von einer „pädagogischen Provinz“ verwirklichen will.
In jedem Sommer treffen sich hier, so Fricke, „kurzhaarige Jugendliche“. Die wiederum belassen es nicht bei Lagerfeuern und Fackelmärschen durchs Dorf, sondern haben auch schon mal den, wenn auch dilettantischen, Versuch unternommen, das Holzlager des Landwirts in Brand zu stecken. Doch niemand im Dorf, das bestätigt auch Pfarrer Klugescheid, käme auf die Idee, gegen die Nachbarin, die den Verein für häusliche Krankenpflege führte und im Vorstand des Verkehrsverein ist, Anzeige zu erstatten.
Besonders die Weihnachtszeit ist für die Honoratiorin segensreich. Mit über tausend Bestellungen rechnete Frau Grimm für das Weihnachtsgeschäft. Die von ihr herausgegebene Werkausgabe ihres Vaters bildet einen nicht unwesentlichen Teil des Umsatzes. Immer noch ein kleiner Bestseller ist das Hauptwerk von Holle Grimms Vater, ein tausendseitiger Wälzer, der vor nunmehr siebzig Jahren fertiggestellt wurde: Hier in Lippoldsberg schrieb der nationalkonservative Schriftsteller Hans Grimm das Psychogramm nationaler Platzangst, den Roman „Volk ohne Raum“, der für die nationalsozialistische „Lebensraum“-Politik das Stichwort lieferte. Auch wenn die Erfolgswelle für das Opus, das einer der Auflagenriesen der deutschen Literatur dieses Jahrhunderts ist und im Dritten Reich Pflichtlektüre für höhere Schulen war, aus historischen Gründen abgeebbt ist – mehr als dreihundertmal wird der Roman auch dieses Jahr wieder geordert worden sein. Aber in den schmalen Tälern des Weserberglandes kann es einem eben schon mal eng werden ums Gemüt.
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