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Vorbild ohne Nachfolger

■ Rainer Börner, der 1990 als erster von sich aus Gespräche mit der Stasi zugab, zu Bertram und einer nicht geführten Debatte

Rainer Börner klingt verbittert. „Wenn jemand behauptet, er habe niemanden geschadet“, meint Börner zu den bisherigen Einlassungen des ORB-„Frühstücksdirektors“ Lutz Bertram, „dann ist das für mich das erste Zeichen dafür, daß er nicht darüber nachgedacht hat.“ Gerade aber Nachdenken hätte Börner von Lutz Bertram und Jürgen Kuttner verlangt. „Hätten sie frühzeitig ihre IM-Geschichte offenbart“, meint er, „hätten sie sich nicht nur menschlich und politisch korrekt verhalten, sondern auch die Möglichkeit gehabt, mit diesem Wissen um ihre Vergangenheit ihre Arbeit aufzubauen.“ Nun sei eine Weiterarbeit nicht mehr tragbar, meint Börner und findet das „beschissen“, weil beide sehr wichtig gewesen seien für die ostdeutsche Öffentlichkeit.

Der ehemalige PDS-Bundesvorständler und jetzige Inhaber eines Plattenladens weiß, wovon er spricht. 1984 hatte er als Zuständiger in der Bezirksleitung der FDJ für Freiluftkonzerte mehrfach Kontakt mit der Staatssicherheit. „Jedes Konzert“, sagte er, „wurde von denen bearbeitet.“ Manche Konzerte, wie das von Bob Dylan, waren von der Stasi sogar ausdrücklich gewollt. Schuldig oder nicht? „Was mit den von mir erhaltenen Informationen gemacht wurde“, schrieb Börner später, „muß die Überprüfung meiner Akten ergeben.“

Im September 1990 hatte der damalige PDS-Volkskammerabgeordnete den Besetzern der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße einen offenen Brief geschrieben und seine Gespräche mit der Stasi von sich aus öffentlich gemacht. Zur selben Zeit fand in der Volkskammer eine erregte Debatte darüber statt, ob die neun Abgeordneten, denen der Volkskammerausschuß den Rücktritt nahegelegt hatte, namentlich genannt werden sollen. Der Vorschlag wurde von der Mehrheit abgelehnt. Begründung des CDU-Abgeordneten Geisthard: „Wenn jetzt Namen genannt werden, begünstigen wir die Lynchjustitz.“

Rainer Börner war nicht unter den neun Abgeordneten. Um so mehr erschien sein freiwilliges Outing unverständlich, vor allem seinen eigenen Parteigenossen. Von den Besetzern der Stasi-Zentrale hingegen wurde sein Verhalten begrüßt, der Bündnis-90-Abgeordnete Wolfgang Ullmann nannte Börners Verhalten „ein Vorbild, dem hoffentlich gefolgt wird“. Es ist ihm, von wenigen Ausnahmen wie Jutta Braband abgesehen, kaum einer gefolgt. Für Rainer Börner, der 1991 wegen der mangelnden Bereitschaft seiner Partei zur Stasi-Auseinandersetzung aus der PDS ausgetreten ist, ist damit die Debatte heute beinahe unmöglich geworden. „Entweder man ist wie im Westen der Meinung, Stasi ist gleich Stasi, oder aber man sagt wie im Osten oder in der PDS, daß man zu seiner Biographie stehen muß.“ Für Börner zwei Pole, die dem Gegenstand der Debatte nicht gerecht werden. „Gerade bei Bertram“, meint er, „zeigt sich ja, daß bisher kaum über die Abhängigkeiten zwischen Führungsoffizier und IM diskutiert worden ist.“ Daß die Popularität von Bertram und Kuttner zu einer differenzierteren Auseinandersetzung als bisher führen wird, glaubt er nicht. Eher schon, daß mit beiden der „Schluß der Debatte“ ein Stück näher gerückt ist. Börner: „Bertram verkörpert ja genau die beiden Pole der bisherigen Diskussion. Für die Wessis ist er der Beweis dafür, daß das System die Menschen gebogen und zu solchen Dingen gezwungen hat, und im Osten heißt es: zur Vergangenheit stehen.“ Uwe Rada

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